Zankapfel
Aus profi 10/1993
Benötigt Fendt Schlepper mit über 200 PS? — Diese Frage trat bei der Vorstellung des damals neuen Favorit 824 auf. Was heute amüsieren mag, heizte 1993 die Diskussion an.
Bei der Entwicklung der neuen Baureihen achteten die Fendt-Konstrukteure besonders darauf, mit dem äußeren Erscheinungsbild nicht aus dem Rahmen zu fallen. Wer mithin bei dem neuen großen Favorit einen auffällig anderen Traktor erwartet, wird enttäuscht sein: der Favorit 824 gliedert sich nahtlos in die Optik der Fendt-Schlepper ein, er ist halt nur größer. Dafür haben die Favorit 800 innerlich nahezu nichts mehr gemein mit ihren Vorgängern Favorit 600: andere Motoren, andere Getriebe, andere Hubwerke, andere Kabinen, und eine andere Leistungsklasse.
Die Baureihe 800 besteht aus vier Typen:
- Favorit 816 Turbo 121 kWI165 PS
- Favorit 818 Turbo 140 kWI190 PS
- Favorit 822 Turbo 154 kW/210 PS
- Favorit 824 Turbo 169 kW/230 PS
Alle vier Schlepper haben wassergekühlte MAN-Motoren mit Stoßaufladung, die drei großen Flaggschiffe mit Ladeluftkühlung und Ladedruckregelung. Die Motoren drehen mit einer Nenndrehzahl von 2 200 Umdrehungen (824 mit 2 300) und haben alle vier einen Drehmomentanstieg von 33 bis 35 % bei einem Drehzahlabfall zwischen 36 und 39 % sowie einer Konstant-Power-Charakteristik mit gleichbleibender PS-Leistung im oberen Drehzahlbereich von ca. 1 730 Umdrehungen bis zur Nenndrehzahl.
Unser Favorit 824, den wir im Osten Deutschlands auf einer hügeligen und zum Teil kittigen Stillegungsfläche vor einem Siebenschar-Aufsattelpflug einsetzten, schlug sich motormäßig beeindruckend: Der Motor war überaus standfest und ließ sich auch bei schwerster Belastung nicht "totkriegen". Dass er nebenbei über Zündschlüssel an- und komfortabel auch wieder abgestellt wird, liegt an der neuen Einspritzpumpe, die mit höherem Druck arbeitet und u.a. die Abgaswerte verbessern soll.
Wer zum ersten Mal mit dem Favorit 824 arbeitet, findet Neues vor allem im Getriebe: Der Favorit 800 schaltet 44 Gänge nur noch an einem Hebel rechts vom Sitz. 6 synchronisierte Gänge lassen sich über einen mehrstufigen Kippschalter mit dem Daumen in vier Lastschaltstufen untersetzen, eine Schiebemuffe unterhalb des Knaufs schaltet das synchronisierte Gruppengetriebe elektrohydraulisch nach Vorwahl: von schnell auf langsam wird der Schieber entsprechend vorgewählt und die Gruppe beim nächsten Gangwechsel (unterhalb 4 km/h, mit Kupplung) geschaltet. Von langsam auf schnell liegt die Grenze bei 5 km/h. In der Ackergruppe ist der sechste Gang gesperrt, so kommen 20 + 24 = 44 Gänge zustande.
Die Wendeschaltung mit dem vom Farmer 300 bekannten Vorwählschalter links unter dem Lenkrad benötigt beim Favorit 800 keinen Haltestift mehr, das Umschalten durch den Tritt aufs Kupplungspedal geht dank der Lamellenkupplungen (anstelle der Synchronisation) deutlich komfortabler. Mit der Schaltung des Favorit 824 ist man denn auch schnell vertraut, die Gangabstufung ist mit 9 Gängen im Hauptarbeitsbereich von 4 bis 12 km/h gut. Theoretisch erreicht der Favorit 824 eine Endgeschwindigkeit von 50 km/h. Praktisch schaltet der Schlepper allerdings elektronisch in die dritte Lastschaltstufe zurück, sobald 44 km/h überschritten werden.
Eine pfiffige Lösung bietet die neue Turbokupplung: sie arbeitet zweistufig. Beim Anfahren des Schleppers mit niedriger Drehzahl weicht das Öl aus der Turbokupplung in eine sogenannte "Verdrängungskammer", der Motor kann zügig beschleunigen. Bei etwa 1200 bis 1300 Motorumdrehungen wird das Öl aus der Verdrängungskammer durch Zentrifugalkraft in die Hauptkammer zurückgedrückt, die Turbokupplung wird kraftschlüssig.
Mit diesem "Variofill"-Prinzip, das bislang nur bei Turbokupplungen im Lokomotivbau verwendet wurde, ersetzte Fendt die bisherige Wandler-Überbrückungskupplung. Der Fahrer merkt davon nur beim genauen "Hinsehen" etwas, der Schlepper beschleunigt beim Anfahren halt zügig und arbeitet unter Last problemlos.
Ebenfalls pfiffig lösten die Konstrukteure die modulierte Steuerung der Lastschaltung: unter Last muss ein Wechsel der Stufen schnell gehen, beim unbelasteten Schlepper soll der Übergang langsamer und weich sein. Deshalb misst ein Sensor an der Turbokupplung den Drehzahlunterschied zwischen den Turbinen: bei größerer Differenz (= belastet) schaltet die Lastschaltstufe schnell, bei kleinerem Unterschied (= unbelastet) erfolgt die Lastschaltung weich. Der Effekt ist ein weicher und meist ruckfreier Übergang.
Die Liste der Neuerungen am Favorit 800 ist noch nicht zu Ende: Die Schlepper haben in Vorder- und Hinterachse elektrohydraulisch geschaltete Differentialsperren, die zu 100 % sperren und wie beim Farmer 300 mit einer Teilautomatik über Lenkwinkelsensor (!) ab 15o Lenkeinschlag abgeschaltet werden, ein zweiter Lenkwinkelsensor schaltet auch den Allradantrieb bei mehr als 25o Lenkeinschlag ab. Neu ist eine Vorderachsfederung, die Fendt entwickelte und auf Wunsch anbietet (Mehrpreis brutto knapp 4800 DM ohne Mehrwertsteuer): Am bisherigen Vorderachs-Drehpunkt des Schleppers ist dann eine kurze Federschwinge angebracht, die ihrerseits den Drehpunkt der Vorderachse bildet, allerdings nach rechts verlegt. Die Federschwinge selbst wird auf der linken Seite über zwei Hydraulikzylinder und Stickstoff-Federspeicher gepuffert. Betätigt wird die Vorderachsfederung über Drucktasten in der Kabine, die die Stellung "Federung ein" und "Federung aus" zulassen.
Bei schneller Fahrt liegt der Favorit mit Vorderachs-Federung sicher und komfortabel auf der Straße. Dennoch erscheint uns der Mehrpreis von 4 800 Mark für den Komfort-Effekt sehr hoch. Wir würden beim Komfort zunächst in die Klimaanlage investieren (Aufpreis brutto knapp 3 000 DM): Für 40 km/h reicht die normale Vorderachse (erst bei 50 km/h oder schneller könnte das anders aussehen), und die Klimaanlage braucht man häufiger.
Bei Hubwerk und Hydraulik führt Fendt mit dem Favorit nicht nur die Axialkolben-Verstellpumpe ein, die ihre Leistung druck- und stromgeregelt den Verbrauchern anbietet. Erstmals ist auch ein Fronthubwerk mit EHR lieferbar. Das ist eine gute Idee, da das Fronthubwerk so nicht nur das Gewicht des Frontgrubbers geregelt auf die Vorderachse übernehmen kann, sondern - dank der Druckregelung - auch Gewicht von der Vorderachse geregelt auf den Frontpacker übertragen kann.
Die Bedienungselemente der Front-EHR sind dann wie bei der Heck-EHR im Bedienpult bzw. im rechten Kabinenholm integriert.
Die neu gestaltete Kabine selbst ist übersichtlich und angenehm, man ist schnell vertraut mit dem Schlepper und fühlt sich am Arbeitsplatz wohl. Das liegt auch an der neuen Federung mit Hydrolagern vorn und Schraubenfedern-Stoßdämpfer mit Querstabilisator im Heck. Die Kabine ist subjektiv leise, Fendt gibt 72 dB(A) an. Zwei kleine Kritikpunkte sollen nicht fehlen:
• Die Bedienelemente für die Heizung und Lüftung rechts neben dem Armaturenbrett liegen dort etwas "unmotiviert",
• Der Handgashebel als zweifach gebogenes Eisenrohr an der rechten Konsole passt optisch nicht (mehr) zum neuen Innenleben des Favorit-Schleppers.
Ein Fahrer-Informationssystem mit den verschiedensten Funktionen und einer "intelligenten" Fehlerdiagnose ist in dem Favorit serienmäßig integriert. Ebenso serienmäßig (und lobenswert) ist die Zweileitungs-Druckluftbremse. Zu erwähnen bliebe noch eine Rückfahreinrichtung, die den Wechsel der Arbeitsrichtung werkzeuglos durch Schwenken von Armatur-Konsole und Drehsitz in einer Minute erlaubt, hinten fehlt dann nur das Fußgas-Pedal.
Daten-Kompass
Favorit 824 Turbo
Motor: 169 kW/230 PS, MAN Sechszylinder-Turbomotor Do 826 LE 52 mit Ladeluftkühlung und Stoßaufladung, 6 870 cm3 Hubraum. Viscolüfter, Wasserkühlung. 370 l Kraftstofftank.
Getriebe: 44/44 Gänge; synchron. 6-Gang-Getriebe, vierstufige Lastschaltung, lastschaltbare Wendeschaltung mit Vorwähl-Schalter. 40 km/h. Turbokupplung mit „Variofill“ , hydr. betätigte nasse Fahrkupplung. Zapfwelle mit 540E/1000 min-1.
Hubwerk und Hydraulik: Hubwerk Kat. III mit Bosch-EHR D, Hubkraft 9000 daN; Frontkraftheber mit EHR a. W. (Hubkraft 5000 daN). Axialkolben-Verstellpumpe Load-Sensing, 102 l/min, 200 bar, 3 dw Steuergeräte Serie, entnehmbare Ölmenge 50 l (Inhalt: 58 l).
Fahrwerk: Blockbauweise mit Ölwanne als tragendem Element. Hinterachse Fendt-Planetenachse, Vorderachse Fendt-Planeten-Lenkachse, Allrad und Differentialsperren (100 %) elektrohydr. geschaltet, Teilautomatik. Auf Wunsch Vorderachse gefedert. Bereifung vom 480/70 R 38, hinten 620/70 R 42 (a. W. vorn 16.9 R 34, 520/70, 600/70 oder 600/65, hinten 20.8 R 38 oder R 42, 580/70, 650/65 oder 710/70).
Maße und Gewichte: Länge 4,94 m, Breite 2,59 m, Höhe 3,11 m. Leergewicht 7 800 kg, zul. Gesamtgewicht 12000 kg, Nutzlast 4 200 kg (auf Wunsch 6 200 kg bei 14 t zul. Gesamtgewicht).
Preis: In Grundausstattung ohne Mehrwertsteuer brutto 198 950 DM, Aufpreis Klimaanlage 2950 DM, gefederte Vorderachse 4730 DM, Rückfahreinrichtung 3900 DM.
Ein starkes Argument der neuen Favorit-Schlepper ist ihr Preis: bei vergleichbaren Typen (z.B. neuer Favorit 818 zu altem Favorit 615) wird die neue Technik in der Liste zum gleichen Bruttopreis angeboten wie die Vorgänger! Damit bietet Fendt deutlich mehr Technik ohne zusätzlichen Aufpreis.
So gesehen bieten die neuen Favorit 800 in der Leistungsklasse von 121 kW/165 PS bis 169 kW/230 PS vier interessante Alternativen zum Marktangebot. Die Ausstattung mit neuen Motoren, vierstufiger Lastschaltung, der neuen Turbokupplung und der neuen Kabine ist gut. Es wird vom Marktpreis, vom Vertrieb und vom Verhalten der Schlepper in der Praxis abhängen, wie sich die Nachfrage nach dem Favorit 800 entwickelt. Unser Eindruck nach einigen Stunden Praxiseinsatz mit dem Favorit 824: es hat Spaß gemacht, den Schlepper arbeiten zu lassen.
Wozu noch einen 200-PS-Schlepper?
Man kann sicher trefflich darüber streiten, ob eine Firma wie Fendt nun unbedingt noch in den Markt der Schlepper über 200 PS einsteigen muss, wenn sich hier schon ein halbes Dutzend Anbieter tummeln und gemeinsam europaweit nur etwa 2000 Schlepper pro Jahr verkaufen. Die Argumente für einen Einstieg in diese Leistungsklasse sind grundsätzlich jedoch überzeugend:
– Großbetriebe kaufen in der Regel auch die kleineren 100-PS-Traktoren bei dem Hersteller, der ihnen einen guten Großschlepper geliefert hat. Großschlepper ziehen somit Verkäufe in der mittleren PS-Klasse nach sich .
– Die Erfahrung beim Bau von Großschleppern wirkt sich positiv auch in der Konstruktion der mittleren PS-Klasse aus, nicht zuletzt bringen Großschlepper dem Hersteller auch einen Image-Gewinn.
Bei Fendt kommt noch eine Besonderheit hinzu: das Vertriebsnetz. Fendt hat in den vergangenen Jahren darunter gelitten, dass der Marktanteil im neuen ostdeutschen Gebiet deutlich unter dem westdeutschen Anteil lag. Mit den neuen Favorit-Schleppern werden die Vertriebspartner von Fendt, überwiegend die Genossenschaften, beweisen können, ob tatsächlich das nicht mehr zeitgemäße Produkt an dieser Entwicklung schuld war.
Favorit 500C und Farmer 300 im Überblick
Die Baureihe Favorit 500C (das "C" steht für "Compact") hat MWM-Motoren der Baureihe TD 226 B, sie besteht aus drei Typen:
510C (4-Zylinder) 77 kW/105 PS
512C (6-Zylinder) 92 kW/125 PS
514C (6-Zylinder) 103 kW/140 PS
Die Motoren haben einen Drehmomentanstieg von 31 % bei 35 % Drehzahlabfall, eine Konstant-Power-Charakteristik, Turbolader und Viskolüfter. Das Getriebe mit der vierstufigen Lastschaltung ist identisch mit dem der Favorit 800-Schlepper. Die Turbokupplung gibt es nicht mit dem" Variofill" -Prinzip, dafür sind die Kabine, und das Angebot einer Vorderachsfederung und Front-EHR identisch mit dem Favorit 800. profi wird den Favorit 514C in den nächsten Monaten im Fahrbericht vorstellen.
Die Baureihe Farmer 300 hat neue Kabinen, neue Motor-Charakteristiken und eine neue elektrohydrauIische Stufenschaltung. Sie besteht aus sechs Typen:
307 (3-Zylinder) 55 kW/ 75 PS
308 (3-Zylinder) 63 kW/ 80 PS
309 (4-Zylinder) 70 kW/ 95 PS
310 (4-Zylinder) 77 kW/105 PS
311 (6-Zylinder) 85 kW/115 PS
312 (6-Zylinder) 92 kW/125 PS
Bis auf den Farmer 311 mit Saugmotor haben alle Typen einen Turbolader, der Drehmomentanstieg liegt zwischen 30 und 33 % bei 33 bis 36 % Drehzahlabfall, alle Schlepper haben einen Konstant-Power-Bereich von ca. 1 850 Umdrehungen bis Nenndrehzahl. Die Neuerung im Getriebe der Farmer 300-Schlepper betrifft die Feinstufenschaltung. Der Hebel unter dem Lenkrad, von vielen Praktikern kritisiert, ist verschwunden. Stattdessen findet sich am Gangschalthebel als „EHS-Schaltung“ ein dreistufiger Schiebeschalter, der wie der Lastschalt-Knopf bei den Favorit-Traktoren ausgebildet ist und die Feinstufe L, Moder S vorwählt. Beim nächsten Tritt aufs Kupplungspedal wird die Feinstufe elektrohydraulisch geschaltet (der Haken im Kupplungspedal tritt hier nicht in Aktion, wohl aber nach wie vor beim Wechsel der Fahrtrichtung).
Die neue Kabine der Farmer 300 wurde im Wesentlichen wie bei den Favorit-Schleppern gestaltet, natürlich in passender Größe zum Schlepper. Die hinteren Kabinenholme liegen jetzt von außen verglast in der Kabine, die bislang oft willkürlich verteilten Schalter sind übersichtlich untergebracht. Neu ist ebenfalls die rechte Konsole mit Folientasten für Allrad, Differentialsperre und der EHR. Auch den Farmer 300 werden wir Ihnen im profi-Fahrbericht des Farmer 309 vorstellen.
Mit den drei neuen Baureihen bietet Fendt für die mittlere Leistungsklasse sechs Farmer-300-Typen und für die obere Leistungsklasse vier Favorit-800-Typen an, die drei Favorit 500C liegen dazwischen. Bei 77 kW/105 PS und 92 kW/125 PS kann der Kunde wählen zwischen dem Farmer 300 (310/312) mit Feinstufenschaltung oder dem Favorit 500C (510C/512C) mit vierstufiger Lastschaltung. Der Preisunterschied liegt bei 6000 bzw. 6600 DM.