Gut zu wissen
- Der Steillagen-Vollernter ersetzt pro Tag bis zu 70 Erntehelfer.
- Das Trägerfahrzeug können die Betreiber auch für Pflegearbeiten einsetzen.
- Bis zu 75 % Steigung erklimmt das seilgeführte Fahrzeug.
Stellen Sie sich vor: Sie gehen 5 m vor und überwinden dabei knapp vier Höhenmeter. Das aber nicht auf rutschfestem Untergrund, sondern auf einem Lehm-Schottergemisch oder einer feuchten Grassode. Ähnlich ergeht es Winzern und deren Mitarbeitern am Steilhang. Bei bis zu 80 % Steigung müssen die Rebzeilen mehrfach jährlich gepflegt und geerntet werden.
Wie viele andere Branchen beklagen auch Winzer ein zunehmendes Personalproblem, zu guter Letzt auch durch die Corona-Pandemie. Der neue und nach Herstellerangaben weltweit erste Steillagen-Vollernter für Weintrauben von CH engineering soll eine passende Antwort hierauf sein.
Wie diese Technik funktioniert, haben wir uns im vergangenen Herbst mit Peter Hoffmann von CH engineering aus Kröv (nordöstlich von Trier) und dem spezialisierten Lohn- und Weinbaubetrieb von Mark Sanders angeschaut. Sanders betreibt zusammen mit seiner Frau das Weingut Sanders & Sanders in Klausen in der Eifel. Zusätzlich bieten sie von der Pflege bis zur Ernte überbetriebliche Einsätze für den Weinbau im Umkreis von bis zu 40 Kilometern an.
Weinbau und seine Herausforderungen
Ähnlich wie bei vielen Ackerbaukulturen fordern die Rebstöcke über das Jahr verteilt verschiedene Arbeitseinsätze: Im zeitigen Frühjahr (Januar/Februar) beginnen die Winzer mit einem Rebschnitt, der später vor allem den Ertrag und die gleichmäßige Reife begünstigt. Ebenfalls vor der Vegetation werden die Fruchtruten in die bestehenden Draht- und Spannvorrichtungen gebogen. Dieser Vorgang optimiert die gleichmäßige Verteilung der Triebe.
Ab April steht die Düngung an. Sie erfolgt mineralisch oder über Kompost zwischen den Rebstöcken. Zeitgleich folgen erste Pflanzenschutzmaßnahmen. Im Steilhang kommen dabei zunehmend Raupen anstelle eines Hubschraubers zum Einsatz.
Im Vegetationsverlauf fallen zudem viele weitere Pflegemaßnahmen an. Dazu zählen zum Beispiel das Laubschneiden oder auch das Mulchen zwischen den Rebzeilen, bevor zwischen August und Oktober die Ertrags- und Reifephase einsetzt. Bis dahin halten die Winzer ihre Bestände kontinuierlich in mehreren Durchgängen von Pilzkrankheiten frei.
Zum Ende der Wachstums- und Einlagerungsphase sind warme Tage und kalte Nächte hilfreich, damit zwischen September und Oktober eine süße Ernte eingefahren werden kann.
Stichwort Ernte: Bisherige Vollernter kommen bei Steigungen ab 30 % an Ihre Grenzen. Da die Moselregion aber gerade von steileren Hanglagen lebt, rief CH engineering im Jahr 2012 in Pionierarbeit ein Forschungsprojekt ins Leben.
Darauf aufbauend entwickelte Peter Hoffmann (siehe Kasten: Hoffman: Vom Händler zum Entwickler) zusammen mit seinem Team den CH500, der mittlerweile serienreif ist und bereits weltweit zum Einsatz kommt.
Als Trägerfahrzeug dient das UT110 des italienischen Herstellers Andreoli Engineering. Dieses Fahrzeug nutzt einen Vierzylinder-Motor mit 80 kW/109 PS, einen
hydrostatischen Antrieb und zwei Raupenlaufbänder. Eine schwenkbare Dreipunktaufnahme (Kat. 1), eine 540er Zapfwelle und vielfältige Steuergeräte machen es zu einem Universaltalent für den Weinbau — über die gesamte Vegetation. Der Clou ist eine integrierte Seilwinde, die das Fahrzeug hangabwärts sichert und hangaufwärts mit bis zu 1 500 kg Zugkraft auf dem Weg nach oben unterstützt.
Da das Fahrzeug bereits zur Pflege, zum Pflanzenschutz und zur Bodenbearbeitung im Weinbau zum Einsatz kam, fehlte nur eine schonende Technik für die Ernte. An diesem Punkt knüpfte Hoffmann mit seinem Team an und entwickelte ein passendes Anbaugerät. Die Erntetechnik besteht aus einem Erntekopf, einem Förderband und einem Sammelbunker.
Pendelnder Erntekopf
Anders als bei anderen Vollerntern fährt der CH500 nicht mittig über die Reben, sondern seitlich versetzt. Für die passende Montage des Erntekopfes wird zunächst das Hubwerk demontiert, um den Aufsatz an einer Flanschplatte zu verschrauben. Die Hydraulikfunktionen werden teilweise über einen zapfwellen-betriebenen Ölkreislauf angesteuert und teilweise über die Hydraulik des Raupenschleppers.
Beim Einfahren in die Rebzeilen ist der pendelnd aufgehängte Erntekopf geöffnet. Sobald das Ernteaggregat mittig über der Rebzeile positioniert ist, schließt der Fahrer das Aggregat per Knopfdruck. Daraufhin beginnt der Ernteprozess, wozu verschiedene Bauteile hydraulisch in Bewegung versetzt werden. Dazu zählen unter anderem beidseitige Exzenterantriebe für je fünf oder sechs Schüttelstäbe aus Kunststoff. Diese gleiten an den Rebzeilen entlang und schütteln die Trauben ab. Währenddessen fährt das Trägerfahrzeug talwärts etwa mit 2 bis 3,5 km/h.
Durch das Schütteln fallen die Trauben unten auf einem Schuppenboden. Von dort bläst ein Luftstrom die Früchte zu einem seitlichen Förderband. Zeitgleich trennt der Luftstrom unerwünschtes Laub ab und fördert es in einen angetriebenen Blattrechen.
Anschließend transportiert das Förderband die vorgereinigten Weintrauben in Richtung Sammelbunker. Dieser fasst je nach Modell 650 bis 800 l, was bei einem mittleren Traubenertrag für etwa 500 m Rebzeilen ausreicht.
Kurz vor der Übergabe in den Sammelbehälter saugt ein zweites Gebläse Laub aus dem Erntegut. Sobald das Fahrzeug am Ende der Rebzeile angekommen ist – oder die maximalen 230 m der Seilwinde ausgeschöpft sind – öffnet der Fahrer den Erntekopf und tritt die Rückfahrt an. Mit etwa 6 bis maximal 9 km/h geht es mit geballter Ketten- und Zugkraft der Seilwinde zurück nach oben zum Transportfahrzeug.
Funkgesteuerter Tieflader
Apropos Transportfahrzeug: Eine Besonderheit von Hoffmanns Konstruktion ist ein abgestimmter Tiefbett-Tieflader. Dieser ist speziell für den Einsatz in Steillagen konzipiert. Im Erntemodus steht der Tieflader passgenau oberhalb der zu beerntenden Rebzeile. Tieflader und Erntemaschine sind über das Seil der Winde mit einander verbunden.
Tieflader mit Tiefgang
Eine Besonderheit dieses Tiefladers ist eine Funksteuerung. Um den Anhänger zu positionieren, lässt sich sowohl der Drehkranz des Plateaus als auch der Kippwinkel der Plattform aus der Kabine des Vollernters per Funk ansteuern. Das Öl dafür stellt der davor im Standgas laufende Schlepper zur Verfügung.
Apropos Traktor: Vor dem Tieflader war bei unserem Einsatz ein Case IH Farmall 95C mit Funksteuerung platziert. Hierüber kann der Vollernter-Fahrer das Gespann drahtlos von Rebzeile zu Rebzeile vorfahren. Die Fernsteuerung greift auf Kupplung, Bremse und Powershuttle-Getriebe des Schleppers zu.
Zudem ist auf dem Plattformhänger ein Zwischenbunker platziert. Dieser fasst rund 1 200 Liter und wird mit einer Überladehöhe von bis zu 2,50 m nach hinten entladen. Bei Lohnunternehmer Sanders übernehmen ab dort die Winzer ihre Trauben, indem sie ihre Transportfahrzeuge rückwärts an den Plattformwagen manövrieren. Eine LED-Anzeige mit Ampelfarben gibt dem Abfahrer einen Hinweis auf den richtigen Abstand. Hierfür sind hinten am Tieflader Näherungssensoren installiert – ähnlich wie die Einparkhilfen in Pkw.
Kabine mit Kippsitz
Das Fahrerhaus des Steilhangernters erinnert mehr an ein Hubschrauber-Cockpit als an eine Landmaschine. Vor dem luftgefederten Grammer-Sitz mit Neigungsverstellung blickt man auf zahlreiche Anzeigen und Bedienelemente: Links die Funkfernbedienung, in der Mitte ein Terminal für die elektro-hydraulischen Funktionen samt Überwachung und darüber ein Kameramonitor. Die bis zu vier Kameras sind zum Einstellen des Erntekopfes unverzichtbar.
Rechts und links an den Armlehnen des Fahrersitzes hält man intuitiv die beiden Joysticks in den Händen. Einer steuert den Erntekopf, der andere das Trägerfahrzeug — hierüber sind auch die verschiedenen Tempomaten anzuwählen. Zu guter Letzt sind im Dachhimmel zahlreiche Kippschalter und Anzeigen verbaut.
Eines wurde bei unserem Besuch sehr deutlich: Trotz verschiedener Sicherheitsmechanismen ist dies ein Arbeitsplatz für Personen mit Mut, einer gewissen Portion Gelassenheit und dem nötigen Grundvertrauen in die Technik. Selbst wenn der Motor wie bei unserem Besuch auf halber Strecke wegen Überlast ausgeht, muss man Ruhe bewahren und darf nicht in Panik geraten. Auch wenn die Feststellbremse bei Druckabfall im Hydrauliksystem sofort greift und die tägliche Seilkontrolle sowie der turnusgemäße Seilaustausch sicherlich zum guten Gefühl beiträgt, bleibt es ein Job für routinierte Fahrer.
Auch durch Covid-19 liegen die Vorteile dieser Technik auf der Hand, verdeutlicht Hoffmann: „Der Steillagen-Vollernter ist für bis zu 3 ha am Tag ausgelegt. Für eine vergleichbare Ernteleistung würde man alternativ bis zu 70 Erntehelfer benötigen.“
Sanders hat daher mittlerweile in das zweite Trägerfahrzeug investiert und ist unter anderem von der Trauben-Schonung überzeugt: „Auch wenn viele Kunden zunächst skeptisch sind und einen Qualitätsverlust im Vergleich zur Handernte vermuten, sehe ich keine Nachteile. In zahlreichen Versuchen hat sich diese Vermutung nie bestätigt.“
Hoffman: Vom Händler zum Entwickler
Peter Hoffmann ist Geschäftsführer der CH engineering. Entstanden ist dieser Betrieb aus der Carl Hoffmann Landmaschinen GmbH mit Sitz in 54498 Piesport/Mosel. Dieses Unternehmen ist ein Landmaschinenhandel, den Peter Hoffmann gemeinsam mit seinem Bruder Marcus Hoffmann leitet. Ausgerichtet ist das Unternehmen auf Spezialmaschinen für den Weinbau- und für Fördertechnik. Neben Traktoren von Case und Steyr zählen unter anderem Weinpressen, Kellereimaschinen und Sonderfahrzeuge zum Portfolio. Der Betrieb ist ebenso auf Reparaturen ganz verschiedener Landtechnik spezialisiert.
Wir fassen zusammen
Frei nach dem Motto „geht nicht, gibt’s nicht“ entwickelte Peter Hoffmann mit seinem Team einen Steilhang-Vollernter für Weintrauben. Dieser ist freigegeben für Hanglagen bis zu 75 % bzw. gut 37° in Fahrtrichtung und bis zu 30 % seitliche Neigung. Lohnbetrieb und Winzer Mark Sanders ist überzeugt von dieser Technik. Das Trägerfahrzeug lässt sich nicht nur zur Ernte, sondern ebenso zur Bodenbearbeitung und Pflege sowie zum Düngen und für den Pflanzenschutz nutzen. Durch den Einsatz bei der Ernte lassen sich pro Tag bis zu 70 Erntehelfer ersetzen, die zunehmend schwer zu finden sind.