Gut zu wissen
- Die Tabellen des VDMA Landtechnik können Potenziale der Digitalisierung aufzeigen.
- Nicht alle Ausbaustufen sind für alle Betriebe sinnvoll — Analyse und Planung sind gefragt.
- Besonders in der Innenwirtschaft gilt es, auch die Wechselwirkungen der Systeme im Auge zu behalten.
Fachkräftemangel, Düngereinsatz, Datenflut und vieles mehr — dafür verspricht die Digitalisierung durch Vernetzung und intelligente Algorithmen Lösungen. Die Zahl der Möglichkeiten scheint grenzenlos, die Auseinandersetzung mit dem Thema hinterlässt aber oft Frust. Das sind die Gründe:
- Wo anfangen bzw. weitermachen? Die Zahl der Möglichkeiten ist sehr groß.
- Viele Lösungen scheinen auf den ersten Blick komplex.
- Es sind meistens größere Anpassung der Arbeitsabläufe nötig, gleichzeitig ist das Investitionsrisiko schwer kalkulierbar, da die Frage nach dem Nutzen gerade bei neuen Techniken noch nicht klar beantwortet werden kann.
- Die Einführung neuer Technologien verlangt einen großen Zeitaufwand.
- Außerdem schreiten die technischen Entwicklungen in diesem Bereich schnell voran und es steht bei konkreten Entscheidungen die Frage im Raum, ob man nachhaltig aufs richtige Pferd setzt.
Die Landwirtschaft ist mit diesen grundsätzlichen Digitalisierungsproblemen nicht allein. Nahezu alle Branchen stehen vor denselben Herausforderungen.
Der
Verband der Maschinen und Anlagenbauer (VDMA) hat sich deshalb im Detail mit der Digitalisierung, zunächst von Industriebetrieben, auseinandergesetzt. Das Ziel: Mehr Struktur und Orientierung für Unternehmer, die das Thema angehen wollen. Herausgekommen ist eine Tabelle, die die unterschiedlichen Unternehmensbereiche und deren Digitalisierungsstand wiedergibt. Unternehmer können damit ihren Betrieb selbst strukturiert einschätzen und Potenziale für die Digitalisierung erkennen.
Der Fachbereich Landtechnik des VDMA hat das Konzept auf die Landwirtschaft übertragen. Es sind drei Tabellen für Tierhaltung, Pflanzenbau und Betriebsmanagement entstanden, die je bis zu sechs Anwendungsebenen von Technik abbilden. Zusammen mit dem Bayerischen Bauernverband wurde auch ein Schulungskonzept umgesetzt.
Alles auf digital - lohnt kaum
Die Spalten der jeweiligen Anwendungsebene zeigen in fünf Stufen den Grad der Digitalisierung. Bei der Bodenbearbeitung zum Beispiel angefangen mit der manuellen Maschineneinstellung über automatische Lösungen bis zu einer in Zukunft vielleicht komplett autonomen Bodenbearbeitung. Anhand des Schemas kann der Ist-Zustand jedes Betriebes schnell eingeordnet werden. Daraus ergibt sich normalerweise eine Zick-Zack-Linie auf der Tabelle. Bei einem Thema ist der Betrieb schon weiter rechts, bei anderen wiederum eher auf der linken Seite einzuordnen. Das ist völlig normal.
Ebenso normal ist auch, dass für kaum einen Betrieb die volle Ausprägung der Digitalisierung in allen Anwendungsebenen sinnvoll ist. Außerdem lässt sich in kaum einer Ebene aktuell die volle Ausprägung praxisgerecht erreichen. Es gibt zum Beispiel noch kein praxistaugliches autonomes Bodenbearbeitungsgerät. Trotzdem kann das Schema helfen, Potenzial zu entdecken.
Die Spalte ganz rechts hat trotzdem ihre Berechtigung. Hat der Betrieb in einer Anwendungsebene großes Potenzial, kann die volle Ausprägung ein Fernziel sein, das es bereits jetzt im Auge zu behalten gilt. Will man auf dieser Ebene einen Schritt nach rechts machen, lohnt also ein Blick auf die Trends, um das richtige Pferd zu finden.
Auf den folgenden Seiten stellen wir alle drei Tabellen mit ihren Anwendungsebenen vor und geben Beispiele für die Ausprägung der Digitalisierung in den unterschiedlichen Stufen. Mehr zu vielen Themenbereichen finden Sie außerdem in diesem Heft.
Pflanzenbau
Die sechs Anwendungsbereiche in der Außenwirtschaft sind:
- Düngung und Pflanzenschutz
Tatsächlich dürfte ein großer Teil der ackerbaulich genutzten Flächen in Deutschland noch mit einem sehr geringen Ausprägungsgrad nach dieser Tabelle bewirtschaftet werden. Die Stufe zwei bei der Ernte sollten mit dem Wiegen des Ertrags viele Betriebe schon lange erreicht haben. Zum Jahrtausendwechsel gab es einen Schub in Richtung teilflächenspezifischer Ertragserhebung.
Eigentlich sollte damit bereits die Grundlage für eine angepasste, teilflächenspezifische Aussaat und Düngung entstehen. Da sich die Daten aber nicht sinnvoll und praktisch nutzen ließen, landeten sie bei vielen Betrieben bestenfalls im digitalen Archiv.
Das Problem war vor allem der Prozess von den Ertragsdaten hin zu brauchbaren Applikationskarten und deren Umsetzung in den Terminals von Drillmaschine, Düngerstreuer und Pflanzenschutzspritze.
Durch standardisierte ISO-Bus-Funktionen wie TC-geo sind diese Probleme auf der Maschinenseite weniger geworden. Auch die Erstellung der nötigen Karten ist deutlich einfacher und wird von vielen Farmmanagementsystemen unterstützt.
Ertragskarten sind dabei nicht mehr die einzige Grundlage. Ein schneller und kostengünstiger Einstieg ist zum Beispiel mit Biomassekarten der Sentinel-Satelliten möglich. Auf der anderen Seite können auch Daten aus Bodenproben oder von Bodensensoren hinzukommen, mehr dazu ab Seite 32.
Tierhaltung/Innenwirtschaft
Die fünf Anwendungsebenen des Bereichs Tierhaltung/Innenwirtschaft sind:
- Herdenmanagement und Tiergesundheit
Während die Melktechnik nur für Milchviehhalter interessant ist, lassen sich die anderen Anwendungsfelder für nahezu alle Tierarten anwenden. Der Aufwand für den Sprung in die dritte Stufe kann je nach Tierart sehr unterschiedlich ausfallen. Auffällig dabei ist, dass nahezu alle Anwendungsbereiche in den zwei linken Spalten sehr viele manuelle Tätigkeiten enthalten
Ein Beispiel: Für viele Schweinehalter dürfte die automatische Futtervorlage (Stufe 3) Standard sein; Rinderhalter werden hier eher eine Stufe niedriger unterwegs sein, wenn man den Futtermischwagen als Hilfsmittel zur manuellen Verteilung einordnet.
Management im Betrieb
Den Bereich Betriebsmanagement teilt das Schema in fünf Anwendungsbereiche:
- Öffentlichkeitsarbeit und Transparenz
Auch hier greifen, wie in der Innenwirtschaft, die Bereiche stark ineinander. Eine Ackerschlagkartei mit umfangreichen Funktionen kann zum Beispiel Grundlage der Datenhaltung sein, aber auch die Basis für die Finanzplanung liefern sowie Kunden, Lieferanten und Termine verwalten. Alternativ sind dafür jeweils spezialisierte Werkzeuge verfügbar, die nicht zwangsläufig auf die Landwirtschaft zugeschnitten sind.
Für viele Betriebe ist eine Strategie, die auf den Einsatz möglichst weniger verschiedener Programme fürs Büro setzt, sinnvoll. Der Grund: Unterschiedliche Programme haben unterschiedliche Bedienphilosophien. Gerade wenn man mit den Bedienoberflächen nur wöchentlich oder monatlich umgehen muss, kann jedes Mal eine neue Lernphase nötig sein. Das kostet Zeit. Lösungen, die viele Betriebsabläufe abdecken, werden zwangsläufig öfter eingesetzt und die Logik der Bedienung bleibt immer gleich. Der Nachteil: Der Wechsel auf ein anderes System wird schwieriger, weil mehrere Anwendungsfelder gleichzeitig betroffen sind.
Den nächsten Schritt setzen — aber wo?
Als Betriebsleiter wissen Sie beim Betrachten der Tabellen meist schon instinktiv, wo gerade der Schuh drückt. Das kann auf dem Hof die Arbeitszeit fürs Füttern oder das Stallklima sein. Auf der Fläche ist es vielleicht die Aussaat, die eigentlich besser an die wechselnden Bodenbedingungen angepasst werden müsste. Und im Büro frisst der Austausch mit dem Steuerberater unnötig Zeit. An solchen Punkten lohnt eine genauere Analyse. Für das schlechte Stallklima könnte eine neue, vernetzte Steuerung die Lösung sein. Den Fütterungsengpass beseitigt vielleicht ein automatisches System und auf dem Acker kann eine teilflächenspezifische Mengenanpassung die Lösung sein.
Abseits von akuten Problemen sollten Sie auch strategisch überlegen, wohin sich Ihr Betrieb entwickeln soll. Wenn Sie in Aussaatkarten Zeit investieren, ist zum Beispiel der Schritt zur teilflächenspezifischen Düngung nicht sehr groß, da Datengrundlage, Technik und Arbeitsschritte vergleichbar sind.
Formulieren Sie für sich individuelle Anforderungen, die Sie von einer nächsten Stufe erwarten und prüfen Sie bereits mögliche nächste Schritte und solche Quereffekte auf andere Anwendungsfelder. Damit zeigt sich oft ein Weg der kleinen und sinnvollen Schritte. Werden Ihre Anforderungen aktuell noch nicht von einem praxisreifen System abgedeckt, sollten Sie noch warten.
In der Innenwirtschaft gehen die Quereffekte noch deutlich weiter. Es gibt starke Synergieeffekte und Wechselwirkungen zwischen den Anwendungsfeldern, je weiter Sie die Digitalisierung entwickeln. Ein Grund dafür ist, dass alles wie Füttern, Melken und Management auf täglicher Basis abläuft, während in der Außenwirtschaft mehr Zeit zwischen den einzelnen Schritten Säen, Bestandspflege und Ernte bleibt. Ein automatisches Fütterungssystem muss ab der Stufe 4/5 mit der Lagerhaltung kooperieren, die Melktechnik muss wiederum direkt Einfluss auf die Fütterung nehmen. Das Gesamtsystem sollte abgestimmt sein.
Fazit
Beim Thema Digitalisierung den Überblick zu behalten, fällt schwer. Der VDMA liefert mit seinem Leitfaden Landwirtschaft 4.0 ein Instrument zur strukturierten Bewertung des eigenen Betriebs. Daraus lassen sich Ideen und Potenziale für die weitere digitale Entwicklung ableiten. Das Ziel ist dabei nicht immer der volle Ausbau der digitalen Möglichkeiten. Entscheidungen und Gestaltungsspielraum bleiben beim Betriebsleiter.