- Je größer der Reifen, desto größer kann die zu reparierende Stelle sein. - Die Kosten für eine Reparatur belaufen sich je nach Schadensbild auf 300 bis 400 Euro netto. - Reifen-Reparaturen dürfen nur von einem Fachmann durchgeführt werden.
Egal ob Grubberzinken, alte Eisenrohre oder angespitzte Wiesenpfähle, auf dem Acker findet sich vieles wieder: meistens als Piercing im Schlepperreifen. Besonders ärgerlich ist es, wenn der Schaden an neueren Reifen entsteht. Doch es gibt einen Lichtblick, denn ein Großteil der Schäden lässt sich reparieren. „Rund 80 Prozent aller entsorgten Reifen könnten aufgearbeitet oder repariert werden“, erzählt uns Irek Dombrowski. Er arbeitet als Vulkaniseur- und Reifenmechanikermeister für die Unter-nehmen Tip Top Automotive, dem weltweit größten Hersteller von Reifenreparatursets und -werkzeugen, sowie für die SGS (Stahlgruber Gesellschafter Stiftung). Für beide Firmen ist er als Schulungsleiter tätig.
Für Geldbeutel und Umwelt
Je nach Größe des Reifens benötigt man für die Herstellung bis zu 150 l Rohöl. Außerdem ist die Anschaffung neuer Reifen kein Pappenstiel. Schnell fallen bis zu 2 000 Euro für einen Reifen der Größe 650/65 R 38 an. Des Weiteren kommen die Kosten für die Entsorgung der Altreifen hinzu. Diese liegen bei gut vier Euro pro Zoll Felgendurchmesser. Bei einem 38-Zoll-Reifen sind es also 152 Euro. Müssen aufgrund der unterschiedlichen Abnutzung sogar beide Reifen erneuert und entsorgt werden, hat das Malheur teure Folgen. Die Reparatur eines Reifens ist vergleichsweise günstig: In den meisten Fällen repariert die Fachwerkstatt stark beschädigte Reifen für gut 300 bis 400 Euro.
Reifenreparatur: Was ist möglich?
Generell können die Fachleute Beschädigungen in allen Bereichen des Reifens, also Lauffläche, Schulter und Flanke instand setzen. Entscheidender ist die Größe und Form des Schadens: Hierzu gibt es Tabellen, die die größtmögliche Reparaturfläche in Abhängigkeit der Reifengröße vorgeben. Beispielsweise lassen sich Flankenschäden an einem 650/65 R 38er Reifen bis zu einer Größe von 17 cm in axialer Richtung (umlaufend zur Mittelachse) und 22 cm in radialer Richtung (im rechten Winkel zur Mittelachse) reparieren. Außerdem sind in der Tabelle die empfohlenen Größen der Reifenpflaster hinterlegt. Durch viele Lagen Aramid-Gewebe sorgen die Pflaster vorrangig für die Stabilität und bilden eine Gewebebrücke über der aufgefüllten Stelle.
Die Vulkanisation
Vulkanisieren hat den Zweck, das aufgetragene, plastisch verformbare Rohgummi zu erhitzen. Ab etwa 95 Grad wird es zu einem Elastomer, also ein Gummi, das unter Bewegung in die Ursprungsform zurückkehrt. Außerdem verbinden sich durch die Vulkanisation die Molekülketten des Reifens mit denen des aufgetragenen Gummis, wodurch es nicht mehr ausreißt. Man unterscheidet zwischen dem Einwege- oder Zweiwege-Verfahren. Beim Einwegeverfahren wird das innen aufgeklebte Pflaster mit der verfüllten Reparaturstelle vulkanisiert. Je nach Größe des Pflasters kann es sein, dass die Heizplatten des Vulkanisier-, oder auch Thermopressgerät genannt, nicht groß genug sind, um dieses komplett abzudecken. In solch einem Fall wendet man das Zweiwege-Verfahren an, bei dem das Pflaster nach der Heißvulkanisation aufgetragen wird.
Welche Schäden sich reparieren lassen, zeigt dieses Ausstellungsstück.
(Bildquelle: Dombrowski, Bertling )
Diese Nagelloch-Extruderpistole verfüllt Löcher mit Rohgummi.
(Bildquelle: Dombrowski, Bertling )
Mit diesen verschiedenen Rauwerkzeugen werden die
Schadstellen ausgearbeitet.
(Bildquelle: Dombrowski, Bertling )
Wer darf Reifen reparieren?
Eine Reifenreparatur darf nur von einem Vulkaniseur-Reifenmechanikermeister oder einem Meister mit spezieller, zweiwöchiger Zusatzausbildung (7A §36 HWO) durchgeführt werden. Man muss beachten, dass der Mechaniker mit der Reparatur auch die Haftung für die Arbeit übernimmt. In Eigenregie dürfen derart große Reparaturen also nicht durchgeführt werden. Die Stahlgruber Gesellschafter Stiftung bietet zwei- bis dreitägige Grundkurse an, an denen grundsätzlich jeder teilnehmen darf. Auch die zweiwöchigen 7A-Meisterkurse werden am Schulungscenter in Warstein durchgeführt. Weitere Informationen hierzu finden Sie auf der Homepage der Stiftung: s-g-s.eu
Vor der Reparatur müssen der Schaden und der allgemeine Zustand des Reifens genau begutachtet werden. Gibt es noch andere Schäden oder Reparaturstellen? Im Zweifelsfall haftet immer derjenige, der als letztes eine Reparatur an dem Reifen durchgeführt hat.
Zum Ausarbeiten gibt es verschiedene Rauwerkzeuge. Da der Schlepperreifen dickwandig ist, greifen wir zunächst zu einem rauen Aufsatz. Wichtig ist, dass der Schleifer nicht zu schnell läuft. Der Experte empfiehlt „Langsamläufer“ zwischen 2 500 und 5 000 U/min. Ansonsten erhitzt sich das Gummi zu stark, wodurch sich die Molekülketten direkt wieder schließen und beim Vulkanisieren nicht mit dem Rohgummi verbinden.
Das weitere Ausarbeiten erfolgt mit einem feineren, kegelförmigen Aufsatz. Es muss so weit ausgeschliffen werden, bis keine Einrisse mehr in den Ecken erkennbar sind. Außerdem müssen die Ecken rund ausgeformt werden, um ein erneutes Einreißen zu unterbinden. Nur wenn die Reparaturstelle penibel vorbereitet wird, ist die Reifenreparatur von Dauer und hält den täglichen Belastungen stand.
Sind die Einrisse vollständig ausgeschliffen, muss von außen ein Trichter um die Reparaturstelle ausgenommen werden. Dieser wird umlaufend 2 cm angezeichnet und halbrund konkav nach innen bis auf circa 2 bis 3 mm Restwandstärke ausgearbeitet. Bevor das Loch verfüllt wird, sollte zudem die Flankenstärke gemessen und notiert werden. Sie beträgt hier 12 mm und wird zur Berechnung der Vulkanisierdauer benötigt.
Ist der Schaden ordentlich ausgearbeitet, kann die zu reparierende Stelle vermessen werden. Zum einen erfolgt dies in axialer Richtung, also umlaufend in Flankenrichtung, sowie radial in Richtung Lauffläche. Die Maße der Beschädigung werden für die Pflasterauswahl benötigt.
Anhand des radialen und axialen Maßes sind in der Tabelle des Herstellers Tip Top Automotive die passende Pflasterart und -größe verzeichnet. In unserem Fall handelt es sich um einen Reifen mit der Größe 18.4 R 38. In Abhängigkeit von der Schadensgröße schlägt die Tabelle das Pflaster mit der Nummer „583“ vor.
Vor dem Befüllen muss der Trichter mit der Bindemasse MTR-2 zweimal eingestrichen werden. Diese benötigt mindestens 10 min Trocknungszeit, wobei die Weiterverarbeitung maximal 45 min nach dem Einstreichen erfolgen darf.
Nun kann mit dem Befüllen begonnen werden. Dazu wird der Streifen aus Rohgummi (Thermoplastische Masse) per Heizplatte auf etwa 80 °C erhitzt und im Anschluss zu kleinen Röllchen geformt.
Vor dem Verfüllen wird das Loch mit einer von innen eingeklebten Lage Rohgummi verschlossen. Dann kommen die erwärmten Röllchen Schicht für Schicht in das Loch und werden per Anroller angedrückt. Dieser Schritt erfolgt so oft, bis Loch und Trichter verfüllt sind und ein 6 bis 8 mm hoher Auftrag entstanden ist. Dies ist wichtig, da bei der Vulkanisation Material schwindet.
Da die Heizplatten des Thermopressgerätes nicht das gesamte Pflaster abdecken, erfolgt hier die Reparatur im Zweiwege-Verfahren. Dazu vulkanisieren wir vorerst nur die verfüllte Reparaturstelle. Hierzu wird eine Wärmeleitfolie auf die entsprechende Stelle gelegt. Ein erfolgreicher Vulkanisiervorgang erfordert Druck, Zeit und Temperatur: Das Thermopressgerät drückt pneumatisch mit etwa 6 bis 8 bar zwei Heizplatten von oben und unten auf die Reparaturstelle. Diese erhitzen die Stelle für 130 Minuten auf 145°C.
Die Vulkanisierdauer wird wie folgt berechnet:
Formel: (Flankendicke + Auftrag in mm) x 6 min + Aufwärmzeit (10 min)
Beispiel: (12 mm + 8 mm) x 6 min + 10 min = 130 min
Nachdem der Vulkanisierungsvorgang abgeschlossen und die Reparaturstelle abgekühlt ist, wird von innen das Pflaster geklebt. Vorab muss die Stelle großräumig mit dem Reinigungsstoff Liquid Buffer und einem Spachtel von Verunreinigungen befreit und im Anschluss angeraut werden.
Damit das Pflaster auch auf neueren Reifen mit höherem Kunststoffanteil im Inliner hält, wird es „dubliert“, also ein Bindegummi als Zwischenschicht aufgebracht. Dazu muss die Schutzfolie Stück für Stück abgezogen und das Pflaster mit einem breiten Anroller blasenfrei angerollt werden.
Nun das Reifeninnere mit sogenannter blauer Cement-Masse (SC-BL) einstreichen und die Stelle eine Stunde ablüften lassen. Danach wird die blaue Rückseite des Pflasters erstmalig sowie das Reifeninnere ein zweites Mal eingestrichen. Beides muss nun für etwa 10 min bei über 18°C Raumtemperatur ablüften.
Im Anschluss wird das dublierte Pflaster auf der vorbereiteten Reparaturstelle platziert und mit einem schmalen Anroller von innen nach außen angerollt. Es folgt das Nachtverfestigen mit einem kleinen „Presslufthammer“ mit rundem Kopf, ebenfalls von innen nach außen. Nach dem Aufkleben darf der Reifen mit dubliertem Pflaster 48 Stunden nicht bewegt werden (24 Stunden ohne Dublierung). Außerdem muss die Umgebungstemperatur über 18°C liegen, damit die Selbstvulkanisation erfolgt.
Der letzte Schritt besteht darin, die Reparaturstelle mit einem feinen Schleifaufsatz nachzuarbeiten. Wird dies ordentlich erledigt, ist später kaum ein Unterschied zur umliegenden Oberfläche zu erkennen. Die Qualität der Reparatur erkennt man unter anderem an der glatten Oberfläche. Sind hingegen kleine Lufteinschlüsse in Form von Vertiefungen zu sehen, kann die Reparaturstelle gegebenenfalls erneut einreißen und ein Nacharbeiten ist erforderlich.