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Landtechnik-Reise nach Lettland und Litauen
profi-Leserreise ins Baltikum - Teil 1: Mit Fremden zu Freunden
Unsere jüngste profi-Leserreise führte ins Baltikum. Weshalb es eine Reise zu Freunden war und von was sich unsere Teilnehmer am meisten überrascht zeigten, lesen Sie im ersten Teil unseres Reiseberichts.
Waren Sie schon mal im Baltikum? Für die meisten unserer 34 Teilnehmer der von Farm-Tours im Juni 2024 organisierte profi-Leserreise war es tatsächlich ihr erster Besuch. Entsprechend gespannt zeigten sich alle zu Beginn der Reise. Um an dieser Stelle das Resultat der einwöchigen Tour schon mal vorwegzunehmen: Die von uns besuchten Länder Lettland und Litauen haben begeistert – und zwar so richtig! Und so kam es, dass – gleichwohl die meisten Reisenden sich bis zum Startschuss am Frankfurter Flughafen fremd waren – zum Ende der Studienreise der Abschied gar schwer fiel. Ausgelöst wurde die Begeisterung in erster Linie durch die Menschen, die überaus freundlich und zugleich sehr charakterstark sind – eine wunderbare Kombination. Schade nur, dass ein Besuch in Estland nicht auf der Agenda stand, und auch für Lettland blieben nur zwei Tage bis es für den Rest der Tour nach Litauen weiterging.
Reisegruppe der profi-Leserreise zu Gast in Lettland und Litauen: Unter Freunden
Selbst auf dem Land kann man sich in Lettland und in Litauen gut auf Englisch verständigen. Und die ältere Generation ist oft genug auch mit der deutschen Sprache vertraut. Dazu passt eine gewisse Verbundenheit gegenüber Menschen aus Deutschland. So begrüßte uns Landwirt Vytautas Stankevičius mit den Worten: „Es ist mir eine Freude, euer Gastgeber zu sein. Denn bei uns gelten deutsche Landwirte als die besten der Welt. Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch Danke sagen – denn es war vor allem Deutschland, das uns Balten zu einem schnellen EU-Beitritt verhalf.“ Die lobenden Worte kamen an, doch lösten sie auch manche Diskussion aus. Am Ende der Reise gestand man jedoch ein, dass EU-Gelder wohl nirgendwo so gut investiert wurden wie in den baltischen Ländern.
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Saubere Anlagen und professionelle Pflege der Städte und privaten Grundstücke im Baltikum
Nicht erwartet hatten die Gruppenteilnehmer, wie sauber es überall ist. So liegt nirgends Müll herum, und selbst auf der Autobahntoilette ist es sauber! Damit hatte wohl keiner von uns gerechnet – vor allem diejenigen nicht, die hin und wieder in anderen Ländern von Osteuropa unterwegs sind.
Fasziniert hat auch die Liebe der Balten zum Rasenmäher: Ob rund ums private Wohnhaus oder bis in die hinterste Ecke einer Hofstelle wird mit allem möglichen Gerät regelmäßig alles kurz gehalten. Dass wie im Städtchen Kaunaus zur Pflege der Parkanlagen inzwischen Mähroboter über lange Zeit unbeschadet zum Einsatz kommen, verrät zudem viel über die Kultur eines Landes.
Die Landwirte in den baltischen Staaten sind fleißig!
Schon die erste Busfahrt übers Land machte klar: Das Können der Landwirte in den baltischen Staaten ist enorm und verdient Respekt. Gerade im mit größeren Flächen ausgestatteten Lettland beeindruckten die nahezu unkrautfreien Bestände mit einer unglaublichen Gleichmäßigkeit. Bei den insgesamt zehn Betriebsbesichtigungen mit teils sehr persönlichen Gesprächen wurde ebenfalls deutlich: Die Landwirte und Menschen dieser Länder sind fleißig und verstehen ihr Handwerk. Doch unterliegt die Landwirtschaft gerade einem großen Wandel, was mit dem Generationenwechsel auf den Betrieben zu tun hat. Denn während nach dem Abmarsch der letzten Sowjettruppen in den 90er Jahren bei der ersten Generation der Aufbau der Betriebes im Vordergrund stand, sieht die nachfolgende Generation Landwirtschaft zusehends als Geschäftsmodell. Betriebe mit 100 Kühen laufen somit bald aus, während immer mehr Betriebe 500, 1.000 oder gar 5.000 Tiere halten. Zum Thema Landwirtschaft nach Businessplan passt auch die erste Vertikal-Farm in Vilnius, die ganzjährig unter Dach Salate und Kräuter produziert. Dazu mehr im zweiten Teil unseres Reiseberichts.
Tag 1: Die Altstadt von Riga
Nach zwei Stunden Flugzeit stand als erstes eine Führung durch die lettische Hauptstadt Riga an. Wussten Sie, dass der weltweit erste Weihnachtsbaum 1510 in Riga aufgestellt wurde? Ein Denkmal auf dem Rathausplatz erinnert heute daran – gleich neben dem 1999 neu aufgebauten Schwarzhäupterhaus. Der Name des Hauses geht zurück auf die Compagnie der Schwarzen Häupter – eine Gemeinschaft von Kaufleuten, die erstmals 1232 Erwähnung fand und als einer der weltweit ältestes und noch bestehenden Vereinigung den Aufstieg der Stadt Riga im Mittelalter entscheidend prägte.
Neben einem Gang durch die beschaulichen Gassen Rigas durfte auch eine Verkostung des Rigaer „Schwarzer Balsam“ nicht fehlen. Der nach einem geheimen Familienrezept des Apothekers Abraham Kunze hergestellte Likör mit 45 % Alkohol befreite den Erzählungen nach schon Zarin Katharina die Große von ihren Beschwerden. Zu den Hauptzutaten des nach Schwedenkräuter schmeckenden Getränks zählen Kräuter, Beeren, Blüten sowie Eichenrinde und Kalmuswurzeln. Die Letten selbst trinken ihren Black Balsam im Winter gerne mit heißem Johannisbeersaft, und gemischt mit Cola ist es ein beliebtes Partygetränk.
Die Landwirtschaft Lettlands stand dann am Abend im Mittelpunkt eines Vortrags von Valters Zelčs von der Bauernvereinigung Zemnieku Saeima. Der 800 Mitglieder zählende Verein ist im Land die einflussreichste Organisation im Bereich Landwirtschaft. Zelčs hat Agrarökonomie mit Schwerpunkt Politikwissenschaft studiert und bewirtschaftet selbst einen 230 ha großen Ackerbaubetrieb.
Neben Zahlen und Graphen zum Selbstversorgungsgrad Lettlands und dem auch in Lettland ungebremst anhaltenden Strukturwandel kam Zelčs auch auf neue Herausforderungen zu sprechen. Demnach haben lettische Landwirte mit einer weiterhin unstabilen Marktlage aufgrund der russischen Invasion in die Ukraine schwer zu kämpfen. Kritik verwand er zudem für eine immer spürbarer werdende Überbürokratisierung durch die EU inklusive des Green Deals. Sorgen macht den Verbandsmitgliedern auch der Mangel an Mist und Gülle, welcher mit zu importierendem Mineraldünger auszugleichen ist. Und zu guter Letzt macht im Hinblick auf die sinkende Bevölkerungszahl Lettlands und eines folglich schrumpfenden Binnenmarktes der global zunehmende Preisdruck Sorgen.
Die Weißen Nächte von Riga: Ein Mittsommer-Erlebnis
Ein guter Zeitpunkt für einen Besuch von Riga ist Ende Mai bis Mitte Juli. Denn dann ist Mittsommer, und in den sogenannten Weißen Nächten scheint die Sonne nicht unterzugehen. Unser Reisetipp: Im Hotel Radisson Blue gibt es eine öffentlich zugängliche Skyline Bar. Bei einem Black Balsam genießt man hier einen tollen Blick über die Hauptstadt, während am Horizont die Sonne schwindet – es aber an Mittsommer nicht wirklich dunkel wird.
2. Tag: Besuch eines Ackerbau-Betriebs mit 7.453 ha
Am nächsten Morgen waren wir zu Gast bei Mikus Karlovs, CEO beim Betrieb SIA PS Lidums mit über 4.213 ha Nutzfläche, 80 km südlich von Riga gelegen. Zu den Hauptfrüchten zählen 2 528 ha Winterweizen, 803 ha Raps, 221 ha Sommerweizen und 524 ha Ackerbohnen. Der Zuckerrübenanbau ist dem Betrieb — wie in ganz Lettland — aufgrund einer Vereinbarung mit der EU nicht erlaubt. Die Anfänge des Betriebs gehen zurück auf das Jahr 1993 und dem Anbau von 3 ha Gemüse und Kartoffeln. 2007 erwarb SIAZS Vegi den Betrieb und gründete die SIA PS Lidums. Seitdem erfolgt die Bewirtschaftung ausschließlich mit minimaler Bodenbearbeitung und Direktsaat.
Das Ertragsniveau der letzten neun Jahre liegt laut Karlovs bei 7,4 t/ha Winterweizen, 3,5 t/ha Raps, 5,3 t/ha Sommerweizen und 3,6 t/ha Ackerbohnen. 2024 wurden 8,4 t/ha Weizen geerntet. Obwohl die Böden der SIA PS Lidums mit zu den besten Lettlands zählen, erschienen derartige Erträge in den ersten Jahren schier unmöglich. Denn unter russischer Herrschaft wurden die Böden regelrecht ausgebeutet. Vor allem die Versorgung mit Pottasche (Kaliumcarbonat) hat die nötige Besserung gebracht, so Karlovs. Zur Verbesserung der Böden nimmt der Betrieb gerne Gülle auf. So brachte man im vergangenen Jahr 23.000 m³ Schweinegülle eines benachbarten Betriebs aus. Eine der größten Herausforderungen aber ist die kurze Vegetationsperiode sowie die immer schon extremen Wetterbedingungen mit Schnee und Frost bis in den April. So winterten am zweiten Standort des 3.240 ha großen und in der Region Sigulda gelegenen Betriebs SIA ZS Vegi viele Flächen aus. Nach zehn Tagen bei –28 °C mussten so ganze 600 ha Raps und 120 ha Roggen neu eingesät werden. Um Staunässe auf den schweren Böden zu verhindern, sind heute alle Flächen dräniert. Auf der anderen Seite fehlt es den Flächen vor allem im August regelmäßig an Wasser. Die Niederschlagsmenge für den 80 km südlich von Riga gelegenen Betrieb gibt Karlovs mit 650 mm an, auf dem 50 km nördlich von Riga gelegenen Betrieb fallen 800 mm Regen im Jahr.
Um bei der Saat und bei der Ernte schlagkräftig zu sein, zählen zum Fuhrpark des Betriebs unter anderem eine Direktsaatmaschine Pro-Til mit 6 m Arbeitsbreite von Mzuri sowie eine Pöttinger Terrasem C9. Außerdem laufen dort zwei Köckerling-Grubber Vector (8 m), zwei 12 m Kurzscheibeneggen ebenfalls von Köckerling, eine Kelly-Scheibenegge sowie fünf Überladewagen von Hawe. Gezogen werden die Maschinen von insgesamt elf John Deere-Traktoren, darunter auch drei 8R 410. Das Dreschen übernehmen sieben Maschinen von John Deere, New Holland und Claas. Beim Düngen und beim Pflanzenschutz mit 36 m breiten Fahrgassen setzt der Betrieb auf Amazone-Technik.
Aufgrund des vegetationsbedingt engen Zeitfensters erfolgt das Säen in 12-Stunden-Schichten. Mit der 9-m-Sämaschine konnten so vom 4. bis 20. September 2023 ganze 2.560 ha Weizen gesät werden. Die Silokapazität des Betriebs beträgt stolze 45.000 m³, die Leistung der beiden Korntrockner bis zu 80 t/h. Zur Not kann Getreide im Flachlager zwischengelagert werden. So konnten im erst trockenen und dann viel zu nassen Sommer 2023 auf über 600 ha binnen 24 Stunden 4.493 t Weizen und 463 t Raps geerntet werden. Zu Beginn des unfreiwilligen Marathons betrug die Kornfeuchte stattliche 28 %. Am Morgen des nächsten Tages waren es nur noch 15 % — bis wieder Regen einsetzte. Wie kann man trotz der widrigen Umstände dennoch so erfolgreich sein? Für den ehemaligen Basketballspieler Karlovs zählen hier drei Dinge: „Erstens muss man über ein gutes Wissen verfügen, zweitens das richtige Timing beherrschen und drittens das nötige Durchhaltevermögen an den Tag legen – auch wenn man mal ins Stolpern kommt.“
Nach einer leckeren Stärkung ging es weiter in den Bezirk Birzai zum Milchviehbetrieb von Vytautas Stankevičius. Der 56jährige Agraringenieur bewirtschaftet mit seiner Familie und 40 Mitarbeitern 1.200 ha. Zudem stehen auf zwei Standorte verteilt 1.600 Rinder im Stall, darunter 700 HF- und 100 Jersey-Milchkühe. „Wir haben hier um Birzai schlechte Böden und viele Steine – ein typischer Grünlandstandort eben“, erklärt Stankevičius zu seiner Ausgangssituation.
Das Tagesgemelk seiner Herde gibt er mit 46 l/Kuh an. Für seine Rohmilch erhält er aktuell inklusive Zuschläge 33 ct/l – was er nicht versteht, da Milch im Einkaufszentrum aktuell 2 €/l kostet.
Gemolken wird in zwei Side-by-Side-Melkständen mit jeweils 2x16 Plätzen. Von 2007 bis 2012 standen auch schon vier Melkroboter im Stall. Heute erinnert sich der Vorsitzende der Gemeinde Parovėja an diese Zeit nur ungern. Mit den Worten „ich schlafe heute besser und länger“ ist für ihn alles zum Thema gesagt.
Aktuell bekommen seine Stallarbeiter 10 €/h. Gearbeitet wird im 15-tägigen Schichtbetrieb. Heißt: 15 Tage wird durchgearbeitet, dann gibt es 15 Tage frei. Das Melken beginnt morgens um 4 Uhr. Ein von Litauern entwickeltes Gerät analysiert per Laser das Einzelgemelk auf Eiweißgehalt, Fett, Laktose und Leitfähigkeit. Die Zahl somatischer Zellen wird nicht ausgewiesen, dafür gibt es eine Auswertung auf vorliegende Acidosen oder Ketosen. „Demnächst kann das nachrüstbare System auch eine Trächtigkeit feststellen“, merkt Stankevičius sichtlich stolz über das Können seiner Landsleute an.
Was die Zukunft der Milchviehhaltung in Litauen betrifft zeichnet Stankevičius ein eher düsteres Bild auf. „Die Betriebe mit 50 Kühen sind verschwunden und bald auch die mit 100 Tieren: Keiner will noch Kühe halten. Und wenn, dann nur noch im Roboterbetrieb – am besten mit 16 Maschinen“, stellt der Vater von drei Kindern wehmütig fest. Doch Stankevičius zeigt sich auch dankbar und glücklich: Sein jüngstes Kind hat bereits sein Landwirtschaftsstudium abgeschlossen und wird den erst 2004 mit fünf Kälbern gegründeten Betrieb in naher Zukunft weiterführen.
Leistungsstarker Landhandel Dotnuva Baltic
Einen besonderen Abschluss des zweiten Reisetages bereitete uns der Landmaschinenhändler Dotnuva Baltic. Das 1996 in Kedainiai von litauischen Investoren gegründete Unternehmen erzielt mit 16 Standorten und 260 Mitarbeitern einen Jahresumsatz von 100 Mio. Euro.
Zum Erfolg tragen unter anderem der jährliche Verkauf von 200 Traktoren der Marke Case IH bei. Weiter vertreibt die Firma Maschinen von Kverneland, MacDon, Agrifac, Jeantil, Schäffer, Siloking, Boumatic, Pellon, Wasserbauer etc. Für den Abschluss der Geschäfte sind in den drei baltischen Staaten 35 Verkäufer unterwegs.
Zweites Standbein von Dotnuva Baltic ist die Vermehrung und der Handel mit Saatgut. Dazu bereitet das Unternehmen im 24/7-Betrieb jährlich 30.000 t Saatgut auf. Neben Getreide und Raps fanden sich bei unserem Besuch in den Säcken auch Samen von Rüben, Gras, Senf oder Futterrettich. Das Saatgut der Marke Dotnuva Seeds wird von Linas Agro im ganzen Baltikum, in andere EU-Länder sowie nach Weißrussland verkauft. Unterstützung erfährt das Unternehmen von verschiedenen Kooperationspartnern wie Saaten Union, DSV, Syngenta, RAGT, Bayer CrosScience, KWS oder BASF.