Einsatzbericht Veredlungstechnik
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Einsatzbericht: BioCV BioTag für Sauen
Einsatzbericht: BioCV BioTag für Sauen - Intelligente Ohrmarke für die Sau
Das auf einer digitalen Ohrmarke basierende System von BioCV erkennt kranke, rauschende oder vor dem Abferkeln stehende Sauen. profi erhielt einen exklusiven Blick auf die Weltneuheit.
Digitale Systeme zum Erkennen brünstiger und kranker Tiere sind in der Milchviehhaltung gang und gäbe. Anders in der Sauenhaltung, hier verlassen sich die Tierhalter auf ihr Gespür und ihr wachsames Auge. Bislang jedenfalls. Denn mit der digitalen Ohrmarke des Start-up-Unternehmens BioCV steht Sauenhaltern nun ebenfalls ein Werkzeug zur Verfügung, welches mit Hilfe Künstlicher Intelligenz die Tierüberwachung erleichtert.
BioCV BioTag für Sauen: Viele Funktionen
Das System basiert auf mit Bewegungs- und Temperatursensoren ausgestatteten Ohrmarken. Im Stall kommuniziert jede Ohrmarke direkt mit dem BioScanner — einem Smartphone ähnlichem Gerät der Schutzklasse IP68 (wasserdicht).
Mit der Außenwelt kommuniziert das System per Bluetooth-Sender in der Ohrmarke und Bluetooth-Antennen im Abteil. Per Internet gelangen die Tierdaten zu einem Server in Frankfurt. Ein Programm wertet hier die Daten postwendend aus, so dass der Landwirt auf seinem BioScanner, Tablet oder am PC ständig informiert ist über:
Kranke Tiere
Tierstandort
optimalen Besamungszeitpunkt
Körpertemperatur
Alarm bei „Sau verendet“
Zeitraum der Abferkelung.
Obwohl BioTag erst seit März 2022 am Start ist, kann es schon eine Abferkelung in 80 % der Fälle 24 Stunden im Voraus prognostizieren. Da das System selbstlernend ist, rechnet BioCV bis in spätestens zwei Jahren mit einer 98%igen Genauigkeit der Auswertung.
Praktischer Nutzen
Ein Sauenhalter hat im Abferkelstall immer das Fressverhalten eines jeden Tiers fest im Blick. Doch hat eine Sau einmal nicht gefressen, kann es für eine sanfte Behandlung mit Bewegung und der Gabe eines fiebersenkenden Mittels schon zu spät sein. Tierarzt Dr. Rolf Nathaus vom VetTeam Reken, welcher unter anderem einen Betrieb mit dem System von BioCV betreut, hält hier große Stücke auf die neue Tierüberwachung.
Nach seiner Meinung gibt es gerade in Bezug auf eine Früherkennung von MMA (Mastitis, Metritis, Agalaktie) noch viel Potenzial. So unternehmen zur Vermeidung von MMA die Sauenhalter grundsätzlich zwar schon sehr viel. Dennoch ließen sich durch eine noch zielgerichtetere Geburtsvorbereitung Probleme reduzieren. Im Idealfall wäre so sogar der Einsatz von Antibiotika seltener erforderlich, ist sich Dr. Nathaus sicher. Als Beispiel nennt er hier eine noch gezieltere Einschränkung der Futtermengen zur Erleichterung der Geburten.
Schließlich könnten durch den vermehrten Verzicht auf Mittel zur Brunstsynchronisation Praktiker heute nur noch mutmaßen, wann die Zeit zur Futterreduzierung gekommen ist.
Ein System, das anhand des Bewegungsprofils und Temperaturverlaufs der Sau bis zu 24 Stunden zuvor eine Geburt ankündigt, würde das Arbeiten erleichtern. Zumal der Landwirt dann in aller Ruhe zur Befriedigung des Nestbautriebs dem Tier z. B. einen Jutesack vorlegen und für ein warmes Ferkelnest auch zeitgenau die Ferkellampen aufhängen könnte.
Umrauschende Sauen können in der Gruppenhaltung großen Schaden an tragenden Sauen anrichten. Je früher sie erkannt und aus der Großgruppe in den Deckstall gebracht werden, desto besser. Das System BioTag schickt hier dem Landwirt frühzeitig eine Nachricht, so dass genügend Raum für eine Selektion von Umrauschern bleibt, so BioCV. Ob sich mit dem neuen System durch eine punktgenaue Besamung sogar Sperma einsparen lässt, wird derzeit noch untersucht. Durch den bereits heute gut definierbaren optimalen Zeitpunkt einer Besamung stehen die Chancen hierfür jedoch laut Anbieter recht gut.
BioTag bietet auch die Möglichkeit zum Orten eines Einzeltiers. Vor allem in Verbindung mit einer Wartehaltung in Großgruppen spart dieses Tool nicht nur Zeit, es reduziert auch Unruhen im Stall.
Eine im ersten Moment überflüssige, bei näherem Hinsehen durchaus sehr hilfreiche Funktion ist die Alarmierung beim Verenden einer Sau. Denn im Zusammenhang mit frisch geborenen Ferkeln empfiehlt sich eine lückenlose Versorgung verwaister Ferkel durch ein zügiges Versetzen an eine Amme.
In der Ohrmarke aus medizinisch getestetem Material befindet sich eine wechselbare Batterie mit einer vom Hersteller angegebenen Lebensdauer von 2,5 bis 3,5 Jahren. Das reicht in der Regel für einen Lebenszyklus der Sau aus. Bei einem vorzeitigen Ableben lässt sich die Marke aus dem Ohr zwicken, mit einem neuen Dorn versehen, neu einziehen und neu zuordnen. Ob und wie tief eine Batterie entladen ist, kann der Landwirt am BioScanner-Smartphone, Tablet oder am PC per Webanwendung ablesen.
BioCV legt Wert darauf, dass mit BioTag nicht ein weiteres Gerät auf den Hof kommt, das eine wiederholte Eingabe von Tierdaten erfordert. Um Eingaben zu reduzieren, besitzt das System eine Schnittstelle zum Ankoppeln an andere Systeme. Auch ist die Anbindung an etablierte Sauenplaner in Arbeit. Und neben der Anbindung an die digitale Arzneidatenbank von Farmtool sollen demnächst auch HIT-Meldungen über das System möglich sein
Gleichwohl sich das BioTag-System noch in der Evaluierung befindet, können interessierte Landwirte es bereits erwerben. Bei einer Abnahme von mehr als 400 Ohrmarken beginnt laut BioCV der Stückpreis aktuell bei 9,50 Euro (alle Preise ohne Mehrwertsteuer). Im ersten Schritt jedoch setzt der Anbieter allein auf ein Leasingmodell zum Stückpreis von derzeit 70 Cent/Monat. Die Soft- und Hardware zum Auswerten und Speichern der Daten ist im Leasingmodell enthalten. Kostenlos ist das Erstellen des Dashboards mit einer dem tatsächlichen Bauplan entsprechendem Stallaufriss.
Kostenpflichtig ist hingegen die Hardware, welche im Stall für eine lückenlose Datenübertragung per WLAN und Bluetooth erforderlich ist. Bei einer Funkreichweite von 10 bis 80 m hängen hier die Kosten stark von der Stallarchitektur ab. Davon ausgehend, dass je nach Abteil- und Buchtenstruktur ein Empfänger 24 bis 44 Muttertiere erreicht, fielen in dem von uns besichtigten Betrieb mit 1 000 Sauen im Deckzentrum und Abferkelstall Technikkosten von 14 000 Euro an — also rund 14 Euro je Tierplatz.
Sofern am Stall schnelles Internet zur Verfügung steht, lässt es sich für die Datenübertragung verwenden. Falls nicht, kann eine Satellitenschüssel erforderlich sein. Kostenpunkt: rund 70 Euro/Monat. Klingt teuer, doch hat der Betrieb neben schnellem Internet zugleich frei verfügbares WLAN im Stall.
Fazit
Im Milchviehsektor sind Pedometer zur Brunst- und Gesundheitsüberwachung nicht mehr wegzudenken. Mit der BioTag von BioCV steht Sauenhaltern erstmals ein vergleichbares Werkzeug für die Tierüberwachung zur Verfügung. Das System misst die Temperatur des Tiers am Ohr und analysiert seine Bewegungen.
Algorithmen erstellen daraus Gesundheitsprofile, woraus der Landwirt entsprechende Handlungsempfehlungen abzuleiten vermag. Besamungen können so punktgenau erfolgen, Abferkelungen besser geplant und Untersuchungen durch den Tierarzt zielgerichteter durchgeführt werden.
Spannend bleibt, wie das neue System von BioCV bei einmaligen Technikkosten von rund 14 Euro je Tier zuzüglich 70 Cent monatliche Leasinggebühr je Ohrmarke von der Praxis angenommen wird.
Wer ist BioCV?
Die Firma BioCV ist ein von Moritz Gansel (32) im Jahre 2020 gegründetes Start-up-Unternehmen mit Sitz in Bochum. Der Jungunternehmer und gelernte Mechatroniker wurde durch einen Bekannten auf die Managementprobleme in der Sauenhaltung aufmerksam. Nach zwei Jahren der Erprobung brachte er mit einem Mitstreiter und einem Mitarbeiter das BioTag-System im März 2022 auf den Markt. Zu seinen ersten Kunden gehören vor allem Universitäten, unter anderem aus den USA, die anhand der gesammelten Daten mehr über das Verhalten von Sauen in Erfahrung bringen möchten.
Übrigens: Den Firmennamen BioCV leiteten Gansel vom Lateinischen Curriculum Vitae ab, was so viel heißt wie „Biologischer Lebenslauf“. Tatsächlich lassen sich mit seinem System ab dem Ferkelalter bis zum letzten Wurf alle Höhen und Tiefen einer Muttersau lückenlos dokumentieren.