Gut zu wissen
- Uns gefällt die solide Verarbeitung des Anestacia sowie die Möglichkeit zum flotten Arbeiten.
- Messungen der DLG ergaben sehr niedrige Isoflurankonzentrationen am Arbeitsplatz.
- Wer mit der Positionierung der Ferkel klar kommt, macht mit einem Anestacia nichts verkehrt.
- Am 1.7.20 bestand die Version mit vier Schalen die DLG-Prüfung. Die Zertifizierung stand da noch aus.
Das Verbot der betäubungslosen Kastration ab dem 1.1.21 kommt. Die niederländische Firma GDO ist eine von fünf Herstellern, die ein Isofluran-Narkosegerät für den deutschen Markt entwickelten. Im Mai erhielt das GDO-Gerät mit drei Ferkelschalen das DLG-Zertifikat, während die Ausführung mit vier Schalen erst zum Redaktionsschluss am 2. Juli zertifiziert wurde. Wir beziehen uns in diesem Beitrag ausschließlich auf die Version mit drei Schalen, welche wir als Vorserienmodell begleiten durften.
Maschinenbauer mit Tradition
Vor mehr als 100 Jahren begann GDO mit dem Bau von Maschinen für den Bergbau. Heute fertigt die Firma mit weltweit mehr als 100 Mitarbeitern und einer Niederlassung im baden-württembergischen Hügelsheim schwerpunktmäßig Sondermaschinen für die Auto-, Nahrungs- und Pharmaindustrie. Auf der Suche nach Geschäftsfeldern thematisierte GDO mit Partnern in der Landwirtschaft den Bedarf an Geräten zum Narkotisieren von Ferkeln. So kam es, dass mit Züchtern und Tierärzten das Narkosegerät „Anestacia“ entwickelt wurde.
Tatsächlich unterscheidet sich die Neukonstruktion von anderen Geräten am Markt. So verwendet GDO eine Reihe an Sensoren für eine präzise Steuerung der Narkose. Am auffälligsten sind die Unterschiede beim Einlegen der Ferkel in die steil angeordneten Ferkelschalen, wobei die Rüssel zum Bediener hin zeigen.
Flottes Einlegen möglich
Hochwertige, industrielle Komponenten wie Lüfter von ebm-papst sowie massive und sauber gekantete Bleche aus Edelstahl in Verbindung mit einem Einsatzgewicht von 124,3 kg in Vollausstattung lassen auf einen soliden Maschinenbau schließen — der erste Eindruck vom Anestacia-Narkosegerät ist gut. Ins Auge fällt auch die Länge von 90 cm (bei drei Plätzen) kombiniert mit einer Gerätetiefe von 55 cm — je nach Breite des Kontrollgangs muss man also das Gerät längs ins Abteil stellen. Die Tiefe des Geräts bringt es mit sich, dass bei einem schmalen Flur der Bediener zudem gezwungen ist, sich in eine Abferkelbucht zu stellen. Dafür ist die Höhe des Geräts in Schritten von 5 cm im Bereich von 105 bis 125 cm durch den Einbau passend hoher Klötze einstellbar.
Eine wirkliche Besonderheit des Anestacia aber sind die nach dem Einlegen zum Bediener zeigenden Rüssel sowie die relativ steil angestellten Ferkelschalen. Dies erlaubt ein zügiges Einlegen der Tiere, wobei kopfüber eingelegt die Ferkel sich durch ihr Eigengewicht in der Atemmaske fixieren. Das Gummi der Maske war beim Vorserienmodell noch sehr weich, so dass manchmal der innere Teil der Maske beim Einführen des Rüssels umklappte.
GDO hat das Gummi nun so geändert, dass das Einlegen weniger Probleme macht. Ein weiterer Vorteil des neuen Gummis: Die Rüssel der Tiere liegen jetzt dicht an der Maske an, was einem unkontrollierten Verlust des Narkosegases Isofluran zuvorkommt.
Tatsächlich gab es bei den ersten Messungen der DLG noch Probleme mit der Arbeitssicherheit. Durch die neuen Masken in Kombination mit einer veränderten Absaugung liegen aber nun beim zertifizierten GDO-Gerät mit weniger als 1 mg/m3 die Werte deutlich unter dem von der DLG mit 15 mg/m3 festgelegten MAK-Wert — sehr gut!
Die Ferkelschalen werden von GDO für das Kastrieren von bis zu sieben Tage alten Ferkeln in einer Universalgröße angeboten. Um zu verhindern, dass die Tiere in der Narkose durch eine völlige Erschlaffung der Muskulatur aus der Schale fallen, gibt es Haltebänder aus alterungsbeständigem Polyurethan. Meist reicht ein Band, so dass das Einlegen der Tiere im Nu erledigt ist. Allerdings sollte man das Band zur Vermeidung von Blutstaus nicht zu straff anziehen. Und es empfiehlt sich, nach dem Anlegen des Bands das Tier zur Beruhigung kurz festzuhalten, bis es binnen Sekunden kopfüber in die Narkose gefallen ist.
Die Anordnung der Ferkelschalen beeinflusst auch die Arbeit des Landwirts. Denn die Hoden der Tiere liegen so, dass sie vom Landwirt weg zeigen. Kleinere Personen müssen also mit gestrecktem Arm arbeiten, was das Kastrieren nicht leichter macht.
Option: Verdampfer auch für den Outdoorbetrieb
Das Isofluran zum Narkotisieren kommt aus einem Verdampfer unter der Abdeckung im oberen Bereich des Geräts. Die Aufheizzeit beträgt im Idealfall nur wenige Minuten. Für Outdoorbetriebe, die bei unter 10 °C kastrieren müssen, bietet GDO für 125 Euro Aufpreis eine Zusatzheizung an — prima.
Das Einfüllen von Isofluran aus der Flasche des Mittelhersteller Baxter erfolgt über einen auf Flasche und Verdampfer aufzuschraubenden Schlauchadapter. Damit lässt sich arbeiten, doch gegenüber anderen Systemen am Markt schätzen wir bei dieser Lösung die Gefahr eines unkontrollierten Austritts an Isofluran etwas höher ein.
Die gute Nachricht: Während beim Gerät aus der Vorserie keine ganze Flasche (250 ml) Isofluran in den Verdampfer eingefüllt werden konnte, fasst der Verdampfer im Seriengerät nun ganze 350 ml — bravo.
Nachdem der Verdampfer das Narkosegasgemisch erzeugt hat, wird es mit Luft aus einem ölfreien Kompressor zu den Atemmasken transportiert. Im Betrieb hat die DLG eine Lautstärke von bis zu 87,8 dB(A) gemessen. Wer es gerne ruhiger hat, erhält gegen 330 Euro Aufpreis ein mit 55 dB(A) laut Hersteller deutlich leiseres Modell. Sofern vorhanden, kann für die Versorgung mit Druckluft auch die stalleigene Luftversorgung verwendet werden.
Trickreiche Luftführung
Beim Einlegen des Ferkels erkennt ein Sensor die Belegung der Schale. Daraufhin öffnen sich Ventile in der Luftzufuhr und in der Isofluranzuführung, so dass Tiere in der Atemmaske das Isofluran-Gemisch zeitgesteuert einatmen. Laut Baxter, Hersteller von Isofluran, muss die Narkose mindestens 70 Sekunden andauern, bis die narkotisierten Tiere keine Reflexe mehr zeigen. Wie die Tests der DLG belegen, sind beim Serienmodell die Tiere nach dieser Zeit fast immer ausreichend betäubt. Um sicher zu gehen, stoppt GDO beim Anestacia deshalb die Zufuhr des Gasgemischs erst nach 75 Sekunden. Damit bekäme ab der 76 Sekunde das Tier wieder „normale“ Luft zum Atmen.
Um das Risiko zu mindern, dass die Tiere inmitten der Operation wieder zu sich kommen, beschloss im Juni die mit der Zertifizierung betraute Expertenkommission der DLG, dass bei allen Geräten die Narkosedauer mindestens 85 Sekunden betragen soll. Technisch ist dies beim Anestacia einfach machbar, doch erhöht die für Geräte mit gesteuerter Gaszufuhr gültige Vorgabe den Verbrauch um fast 15 %. Anstatt von 0,61 ml Isofluran im DLG-Test beträgt dieser dann 0,69 ml je Tier.
Übrigens: Falls man mal beim Kastrieren nicht unmittelbar nach Ablauf des gut sichtbaren Countdowns mit dem Eingriff anfangen kann, gibt es beim Anestacia die Möglichkeit zur Verlängerung einer Narkose um 30 Sekunden per Knopfdruck — eine feine Erfindung. Dabei bekommt nicht nur das eine, sondern alle aktuell in den Schalen eingelegten Ferkel eine längere Narkose.
Ängste sind unbegründet
Ängste vor unkontrolliert austretendem Isofluran sind beim Anestacia unbegründet. Denn durch das ventilgesteuerte, geschlossene System mit aktiver Absaugung von Restgasen an der Maske kann Isofluran eigentlich nicht unkontrolliert entweichen. Bestätigt wird dies durch ein akkreditiertes Messinstitut, das Messungen unter Praxisbedingungen durchführte und Werte feststellte, die weit unter dem festgelegten Grenzwert von 15 mg/m3 Stallluft liegen. Zum Vergleich: In der Schweiz, welches als „Vorzeigeland“ in Sachen Isofluran-Narkose bei Ferkeln gilt, sind Arbeitsplatzkonzentrationen von 77 mg/m3 (!) erlaubt.
Möglich ist die Einhaltung des Arbeitsplatzgrenzwertes durch die Verwendung von Aktivkohlefiltern, welche das Isofluran aus der Narkose sammeln. GDO verwendet zwei Filter zum Auffangen überschüssigen und abgeatmeten Isoflurans, da das Aufteilen des Abluftstroms auf zwei Filter eine Auffangquote von bis zu 100 % ergab.
Die Zwei-Filter-Lösung hat zudem den Vorteil, dass erst nach 800 Tieren und nicht schon nach 400 die Filter gewechselt werden müssen. Wann die Filter nach festem Wechselintervall zu tauschen sind, verrät eine rückwärts zählende Anzeige. Zusätzlich blinkt zehn Tiere vor Erreichen des Wechselintervalls eine Kontrollleuchte auf.
Gegen 160 Euro Aufpreis bietet GDO optional auch einen Sensor an, der einen vollen Filter erkennen soll. Rechnerisch bringt dies eine um 30 % höhere Reichweite. Ob der Sensor der Stallluft dauerhaft gewachsen ist, wurde allerdings nicht getestet.
Sicher vor Manipulationen
Wie alle zertifizierten Narkosegeräte besitzt das Anestacia ein vor Manipulationen geschütztes Zählwerk. Gezählt werden nur Ferkel, die mindestens 70 Sekunden in der Ferkelschale verweilten. Alle Daten werden auf einem internen Datenspeicher als CSV-Datei hinterlegt und können per Handy ausgelesen und auf den Büro-PC zur Dokumentation übertragen werden.
Leichte Pflege
Das Narkosegerät von GDO ist so aufgebaut, dass es in zwei Einheiten zerlegt zu einem anderen Betrieb transportiert werden kann. Ein überbetrieblicher Einsatz macht allerdings nur Sinn, wenn sich das Gerät nach der Benutzung gut reinigen und desinfizieren lässt. Tests der DLG belegen hier, dass dies beim Anastacia durch die vielen glatten Flächen allein mit Schwamm und Spülmittel gut möglich ist.
Viele Extras
Das Narkosegerät von GDO mit drei Schalen kostet derzeit 7 499 Euro in der Basisversion inklusive großer Räder, Kompressor und Becher für die Desinfektion einzelner Skalpelle. Wer es gerne komfortabler und leiser mag, kann darüber hinaus neben einer Heizung für den Verdampfer auch eine Halterung mit 80 l großen Ferkelkisten ordern. Auch eine selbstaufrollende Kabeltrommel, der erwähnte Sättigungssensor für die Aktivkohlefilter bis hin zum leiseren Kompressor sind im Angebot von GDO. Wer alle Optionen ankreuzt, kommt so auf einen Gesamtpreis von 9 072 Euro (ohne MwSt.).
Unabhängig von der Ausstattung garantiert GDO als etabliertes Maschinenbauunternehmen für alle Geräte einen zehnjährigen Service inklusive Teileverfügbarkeit. Die laufende Wartung wird entweder über GDO direkt oder über einen der Vertriebspartner (z. B. MS Schippers) übernommen.
Preise und Unterhalt
Das Anastacia mit drei Ferkelschalen steht mit 7 499 Euro (ohne Mehrwertsteuer) in der Grundausstattung in der Liste von GDO. Laufende Kosten sind: Isofluran (ca. 70 Euro/250 ml Flasche) sowie rund 60 Euro Filterkosten nach 800 Tieren.
Bei einem Verbrauch von 0,69 ml Isofluran je Tier (bei 85 Sekunden Narkose) kostet das Mittel gut 19 Cent je Tier. Der Wechsel der beiden Aktivkohlefilter schlägt mit 8 Cent je Tier zu Buche. Den zusätzlichen Zeitaufwand für eine Narkose mit dem „Dreier-Anestacia“ veranschlagen wir bei einer rechnerischen Leistung von 115 zu kastrierenden Tieren je Stunde bei einem Stundenlohn von 35 Euro mit 30 Cent je Tier. Mit Strom und Reinigungsmittel kommen so variable Kosten in Höhe von 61 Cent je Tier zusammen.
Die fixen Kosten sind durch die Anschaffungskosten und durch die Auslastung bestimmt. Rechnet man die aktuell angebotene Förderung des Bundes (max. 60 % von 7 499 Euro) an, kommen bei einer sechsjährigen Abschreibung fixe Kosten von 500 Euro im Jahr zusammen. Macht bei einem Betrieb mit 150 Sauen und 16 zu kastrierenden Tieren je Sau 21 Cent/Ferkel, bei 250 Sauen 13 Cent und bei 400 Sauen 8 Cent/ Ferkel. Diese Zahlen gelten annähernd auch für Wartung und für Reparaturen. Hinzu kommen noch die Ausgaben für Schulungen und Sachkundeprüfungen.
Daraus resultieren folgende kalkulatorische Gesamtkosten je kastriertem Ferkel (Stand 1. Juli 2020): Bei 150 Sauen 1,19 Euro, bei 250 Sauen 0,96 Euro; bei 400 Sauen 0,83 Euro und 0,76 Euro bei 600 Sauen.
1,19 Euro je Ferkel bei 150 Sauen klingt erst mal viel. Vergleicht man die Kosten mit denen einer Immunokastration inklusive der Hodenkontrolle am Schlachthof, spart das Anestacia mit drei Ferkelschalen aber bis zu 3 Euro je Tier.
Fazit
Dass GDO sich als traditionelles Maschinenbauunternehmen auf gute Arbeit versteht, sieht man dem Anestacia durch eine solide Verarbeitung und wertige Komponenten an. Auch, dass unerwartete Probleme während der Zertifizierung professionell abgestellt wurden, spricht für den Hersteller.
Eine Besonderheit des Anestacia ist die Anordnung der Ferkelschalen. Diese erlaubt eine flotte Arbeitsweise, gleichwohl bedeutet die Positionierung der Tiere fürs Kastrieren für den ein oder anderen Landwirt eine Umstellung. Die Geräuschkulisse des Kompressors ist gewöhnungsbedürftig, doch bietet GDO gegen Aufpreis auch hier eine adäquate Lösung an. Stichwort Aufpreis: Wer auf zügiges Arbeiten Wert legt, dem bietet GDO auch eine zertifizierte Variante mit vier Ferkelschalen an.