Voreilung am Traktor berechnen und Reifen wählen: Ein Rechenexempel
Ob abgefahrene Reifen ersetzt werden sollen oder der Schlepper eine andere Schuhgröße bekommt: Es gilt, einige Dinge bei der Um- bzw. Neubereifung zu beachten.
Spezialist auf diesem Gebiet ist Herwig Kühne vom Reifenservice Kühne in Hofgeismar in der Nähe von Kassel. Seit rund 50 Jahren berät er seine zahlreichen Kunden aus der Landwirtschaft zu passenden Reifenkombinationen. Zudem sprachen wir mit Stefan Rössler von Michelin, der die Produkt- und Anwendungstechnik im Bereich der Agrarreifen betreut.
IF/VF: Improved Flexion (IF) bis zu 20 % mehr Traglast, Very high Flexion (VF) bis zu 40 % mehr Traglast
710: Reifenbreite in mm
70: Flankenquerschnitt in % zur Reifenbreite
R: Radialreifen
38: Felgendurchmesser in Zoll
172: Load- bzw. Lastindex (LI), hier bis zu 6 300 kg pro Rad
D: Speed- bzw. Geschwindigkeitsindex, hier bis zu 65 km/h
TL: Tubeless, der Reifen wird schlauchlos gefahren, alternativ:
TT: Schlauch erforderlich
Herausforderung: Voreilung
Der wohl wichtigste Punkt bei der Neu- oder Umbereifung ist das Einhalten der passenden Voreilung der Vorderräder. Voreilung bedeutet, dass die Vorderräder bei eingeschaltetem Allrad etwas schneller die gleiche Wegstrecke zurücklegen als die angetriebenen Hinterräder. Dies bringt bei Ackerarbeiten eine bessere Zugleistung und schont Reifen und Getriebe.
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R: Radialreifen
38: Felgendurchmesser in Zoll
172: Load- bzw. Lastindex (LI), hier bis zu 6 300 kg pro Rad
D: Speed- bzw. Geschwindigkeitsindex, hier bis zu 65 km/h
TL: Tubeless, der Reifen wird schlauchlos gefahren, alternativ:
TT: Schlauch erforderlich
Herausforderung: Voreilung
Der wohl wichtigste Punkt bei der Neu- oder Umbereifung ist das Einhalten der passenden Voreilung der Vorderräder. Voreilung bedeutet, dass die Vorderräder bei eingeschaltetem Allrad etwas schneller die gleiche Wegstrecke zurücklegen als die angetriebenen Hinterräder. Dies bringt bei Ackerarbeiten eine bessere Zugleistung und schont Reifen und Getriebe.
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Wie groß die Voreilung sein darf, gibt jeder Fahrzeughersteller prozentual zur jeweiligen Hinterradumdrehung an. Oft liegt die zulässige Voreilung zwischen 0 und 5 %. Bei manchen Traktoren ist auch eine untere Grenze von 1 % bzw. eine obere Grenze von 4 % angegeben. Zugriff auf diese Daten haben vor allem Reifenhändler und Werkstätten. Ist die Voreilung zu groß oder gar negativ, kommt es vor allem bei Traktoren mit 40 km/h Höchstgeschwindigkeit oder mehr, bei denen der Allradantrieb zum Bremsen hinzugeschaltet wird, zu Verspannungen. Diese lassen sich durch ein schlagendes Geräusch beim erneuten Lösen der Bremse vernehmen. Hierdurch werden die Allradkupplung, das Vorderachsdifferenzial, die Achslagerungen und die Reifen in Mitleidenschaft gezogen.
Um diesen Effekt zu eliminieren, raten die Experten dazu, die Voreilung noch genauer zu bestimmen und auf das Einsatzfeld des Traktors zu schauen. Die langjährige Erfahrung zeigt, dass sich bei Traktoren, die
gleichermaßen für Transport- und Ackerarbeiten genutzt werden, eine Voreilung zwischen 1,5 bis 3 % optimal ist.
Diese Voreilung zu erreichen ist nicht immer ganz leicht. Denn bestimmte Parameter wie die Abrollumfänge der Reifen oder das Übersetzungsverhältnis (i-Wert) des Traktors müssen bekannt sein oder ermittelt werden.
Abrollumfänge bestimmen
Soll der Traktor ringsum mit neuen Reifen bestückt werden, lassen sich die statischen Abrollumfänge in den Reifen-Datenblättern unter nominaler Belastung (Maximallast entsprechend dem Lastindex mit angegebenem Luftdruck) nachschauen.
Etwas aufwändiger ist die Ermittlung, wenn z. B. nur die Vorderreifen ersetzt werden sollen, weil die Hinterreifen noch in Ordnung sind. Dann gilt es die aktuelle Profiltiefe der Hinterreifen bestenfalls an drei Stellen (Mitte und außen) in Laufrichtung nachzumessen. Schauen Sie danach in das Datenblatt des Reifens und berechnen Sie die Differenz zur angegebenen Stollenhöhe im Neuzustand. Ist die Stollenhöhe beispielsweise 2 cm geringer im Vergleich zum Neuzustand, gilt es die Abnutzung mit in die Berechnung einzubeziehen. Ein Vorschlag, wie Sie dies machen können, finden Sie in der angeführten Beispielrechnung. Der aktuelle Rollumfang dient nun als Grundlage für die Suche des passenden Vorder- bzw. des Hinterreifens.
i-Wert: Das Übersetzungsverhältnis
Ein weiterer erforderlicher Wert ist der i-Wert, also das Übersetzungsverhältnis von Hinter- zur Vorderachse. Diesen Wert herauszufinden ist nicht immer einfach, da es innerhalb einer Schlepperbaureihe oft unterschiedliche Zahnradpaarungen im Getriebe oder komplett unterschiedliche Vorderachsen gibt.
Neben der Werkstatt können auch Reifenhändler helfen, den Wert herauszufinden. Meist lässt sich der Wert anhand des Typenschilds der Vorderachse bzw. des Getriebes ermitteln. Zudem haben Großhändler oder Hersteller Datenbanken, z. B. bei Michelin das Portal Agro-Pro, in denen die Werte einsehbar sind.
Lässt sich der i-Wert dennoch nicht eindeutig ermittelten, hilft meist nur ein „Abrollen“. Hierbei wird der Schlepper auf einer befestigten Fläche unbelastet mit identischem Luftdruck in Vorder- und Hinterrädern genau zehn Hinterradumdrehungen mit Allrad vorwärts gefahren. Dabei werden die Vorderradumdrehungen mitgezählt.
Eine aufgemalte Skala in Form einer um 180° gedrehten Uhr hilft dabei. Oftmals drehen sich die Vorderräder rund 13- bis 14-mal bei zehn Hinterradumdrehungen. Den i-Wert erhalten Sie, wenn Sie die Vorderradumdrehungen durch die Hinterradumdrehungen dividieren. Führen Sie den gleichen Versuch ohne Allrad durch, ergibt die Differenz die Voreilung.
Problematisch kann diese Art der Bestimmung sein, wenn die Voreilung bereits im Vorhinein nicht passte, was Sie z. B. an dem bereits genannten Allradschlag erkennen. In diesem Fall sollte der Schlepper aufgebockt und dann abgerollt werden. Hierbei müssen Sie die Umdrehungen beider Vorderräder zählen und den Mittelwert der Umdrehungen anschließend berechnen. Dies liegt an den Reibungsverlusten des Differenzials, vor allem wenn die Kardanwelle nicht ganz mittig der Achse liegt.
Sind der i-Wert und die Abrollumfänge der Hinterreifen (HA) und Vorderreifen (VA) ermittelt, gilt es, diese Werte in die Formel ((VA / HA x i-Wert) — 1) x 100 einzusetzen. Daraus ergibt sich dann der theoretische Vorlauf der Bereifungskombination in Prozent. Nun gilt es die passende Reifen-Kombination zu ermitteln, was bei der teilweisen Neubereifung oft zu zwei Reifenfabrikaten für die Vorder- und Hinterachse führt.
Als Richtwert zur Reifenwahl können Sie den Vorlauf der aktuellen Reifenpaarung im Neuzustand berechnen, wenn der Traktor damit ausgeliefert wurde. Ansonsten ist es sinnvoll, mit neuen Vorderreifen rund 3 % Vorlauf anzupeilen, um auch bei starken Bremsungen (dynamischer Rollumfang) oder fortschreitendem Verschleiß im optimalen Bereich zu liegen.
Beispielrechnung: Voreilung bei teilweiser Neubereifung
Ein Claas Arion 460 wurde mit AC65-Reifen des Herstellers Mitas ausgeliefert. Die Dimensionen betragen 600/65 R 38 hinten und 480/65 R 28 vorne. Die Hinterreifen haben noch rund 50 % Profilstärke (neu 40 mm-Stollen), vorne sind sie abgelaufen. Die Abrollumfänge neuer AC65-Reifen betragen laut Datenblatt 5 251 mm hinten (HA) und 4 064 mm vorne (VA). Der i-Wert liegt bei 1,335. Welchen Abrollumfang müssen neue Vorderreifen haben, um nahe an die gewünschten 3 % bzw. die Voreilung bei Traktorauslieferung zu kommen?
Formeln:
Voreilung: ((VA / HA x i-Wert) – 1) x 100
Abrollumfang aktuell: ((HA neu / π) – 2 x Stollenverschleiß) x π
Neuer Abrollumfang VA: HA aktuell / i-Wert x gewünschte Voreilung / 100 + 1
Rechnung:
Voreilung bei Auslieferung: ((4 064 mm / 5 251 mm x 1,335) – 1) x 100 = 3,32 %
Derzeitigen Abrollumfang hinten: ((5251 mm / π) – 2 x 20 mm) x π = 5 124 mm
Neuer Abrollumfang für VA: 5 124 mm / 1,335 x 1,033 = 3 965 mm
Reifensuche: 480/65 R 28 145A8/142D Alliance Agristar 365 TL AS, Abrollumfang: 3 959 mm
Voreilung neu: ((3 959 mm / 5 124 mm x 1,335) – 1) x 100 = 3,15 %
Wichtiger Faktor: Reifendruck
Neben dem Abrollumfang als wichtigstem Kriterium sollten Sie zudem noch einige andere Dinge beachten. Vor allem spielt der Lastindex (LI) eine Rolle. Dieser ist in der Bezeichnung (Kasten: „Erklärung der Reifengrößen“) als dreistellige Zahl, z. B. 178, angegeben. Er sollte mindestens der halben zulässigen Achslast des Traktors entsprechen.
Da vor allem Standardreifen bei größeren Traktoren mit Anbaugerät oft an Ihre Lastgrenzen kommen, gibt es sogenannte IF- und VF-Reifen. Nach den Anforderungen der ETRTO (European Tyre and Rim Technical Organisation) müssen IF-Reifen bis zu 20 %, VF-Reifen bis zu 40 % mehr Zuladung bei identischem Reifeninnendruck standhalten. Im Umkehrschluss heißt das, dass ein VF-Reifen bei gleicher Zuladung wie ein Standardreifen mit bis zu 40 % weniger Druck gefahren werden darf.
Doch Achtung: Die Hersteller geben die zulässigen Reifendrücke bei unterschiedlichen Achslasten immer für Arbeiten ohne Zug- und mit Zugkräften an. Bei schweren Zugarbeiten ist somit immer der höher angegebene Mindestdruck einzustellen. Zudem ist zu beachten, dass der Abrollumfang bei zunehmender Walkung abnimmt. Dies beschreibt den sogenannten dynamischen Abrollumfang, der abhängig von Zuladung und Reifeninnendruck ist. Zu geringe Reifendrücke hinten können beispielsweise zu erhöhter Voreilung führen, zu geringe Drücke vorne wiederum zu negativem Vorlauf. Somit sollte das Walkverhalten von Vorder- und Hinterrädern identisch sein und die Luftdrücke den Belastungszuständen angepasst werden.
Nicht nur bei der Neu- oder Umbereifung, sondern auch zwischendurch sollte man das Verschleißbild der Reifen überprüfen. Vor allem, wenn die Vorderräder ungleichmäßig abgehen, ist dies meist die Folge einer ungenauen Spur. Um diese einzustellen, nutzen Fachunternehmen wie Kühne Laservermessungsanlagen, die auf die Radnaben der Vorderachse montiert werden. Bei Reifen, die vermehrt außen abgelaufen sind, ist oft eine sogenannte Vorspur die Ursache. Die Räder laufen hierbei tendenziell zusammen. Bei einer Nachspur ist es umgekehrt, was man an einem vermehrten inneren Abrieb erkennen würde. Der Experte hat einen einfachen Tipp, wie man die Spur optisch selbst überprüfen kann. Dazu fährt man mit gut gefüllten Vorderrädern (mindestens 1,7 bar) auf einen trockenen Schotterplatz oder -weg und schaut, ob die Laufspuren mittig der Stollen verlaufen. Sind die Staubanhaftungen weiter innen, deutet dies z. B. auf eine Nachspur hin.
Mit Hilfe einer Laser-Messeinrichtung stellt Kühne die Spur von Traktoren ein, um ungleichmäßigem Verschleiß vorzubeugen.
(Bildquelle: Bertling)
(Bildquelle: Bertling)
Eine Folge von zu geringen Reifendrücken sind vorzeitige Schäden an den Reifenflanken. Dieses Problem wird verstärkt, wenn die Reifen auf zu schmale Felgen gezogen und dadurch eingeschnürt werden. Die Experten raten deshalb dazu, immer die möglichst breiteste Felge für den jeweiligen Reifen zu wählen.
Fazit
Vor allem bei Traktoren mit Höchstgeschwindigkeiten ab 40 km/h und Allradbremse ist zur Um- oder Neubereifung besonders auf die Voreilung zu achten. Die Experten raten zu einer genauen Ermittlung und zum Einhalten einer Voreilung zwischen 1,5 und 3 %. Zudem hat der Innendruck und das Walkverhalten Einfluss auf die Voreilung, weshalb Luftdruck und Ballastierung abgestimmt sein sollten.
Was ist zulässig?
Auch beim Thema Umbereifung spielen zulassungstechnisch hauptsächlich die Abrollumfänge eine Rolle. Findet man die gewünschte Reifenkombination für eine Umbereifung bereits als Option auf dem Beiblatt der Zulassungsbescheinigung oder auf einer sogenannten Unbedenklichkeitsbescheinigung, die bei den entsprechenden Händlern angefragt werden können, gibt es generell keine Probleme, die Reifen beim TÜV eintragen zu lassen.
Bei einem Wechsel auf eine größere Kombination muss eine Drosselung der Fahrgeschwindigkeit für die Zulassung erfolgen, damit die Höchstgeschwindigkeit nicht überschritten wird. Zudem muss immer auf die zulässigen Fahrzeugmaße geachtet werden. Generell darf laut § 32 Absatz 1 Nr. 1 StVZO ein Zugfahrzeug eine Breite von 2,55 m nicht überschreiten.
Bei der Verwendung von Breitreifen in der Land- und Forstwirtschaft ist allerdings eine Fahrzeugbreite von maximal 3 m erlaubt (35. AusnVO zur StVZO). Zudem müssen Warntafel bei einer Breite ab 2,75 m montiert werden.
Weitere Begrenzungsleuchten sind erforderlich, wenn der äußere Punkt des Schleppers weiter als 40 cm über den äußersten, leuchtenden Punkt der Rückleuchte hinausragt.