Die Innovationsschmiede Kalverkamp überrascht mit einem neuen Trägerfahrzeug als Grundlage für ein ganzheitliches Konzept zur Pflanzenproduktion. Wir haben mit den Entwicklern gesprochen.
Unter der Bezeichnung NEXAT (für NEXt Generation Agricultural Technologie) widmet sich das 2017 in Rieste bei Osnabrück gegründete Unternehmen um Klemens und Felix Kalverkamp ausschließlich der Entwicklung, Herstellung und dem Vertrieb eines ganz neuen Pflanzenproduktionsverfahrens. Dabei ist Klemens Kalverkamp vielen in der Branche als Erfinder des Basisverfahrens vom RotaDisc-Maispflücker bei Geringhoff, als langjähriger Entwicklungschef bei Grimme sowie nicht zuletzt als Konstrukteur der Pelletierpresse Krone Premos bekannt.
Sein Sohn Felix gründete bereits 2011 das Ingenieurbüro Kalverkamp Innovation. Und dort begann man schon im Jahr 2013, über eine ganzheitliche Getreideproduktion nachzudenken, die zum einen ressourcen-schonend und nachhaltig, zum anderen aber auch effizient und wirtschaftlich ist. „Uns war schnell klar, dass es nicht damit getan ist, den Traktor noch stärker oder den Mähdrescher noch größer zu machen“, erläutert der junge Maschinenbauer den Ansatz. „Bei den vielen Gesprächen mit Betriebsleitern in der ganzen Welt ging es nie darum, dass wir den ersten 1 100-PS-Traktor bauen. Die Technik ist für alle landwirtschaftlichen Unternehmer immer nur das Mittel zum Zweck auf dem Weg zu einem neuen Ackerbausystem.“
Im Jahr 2016 war es dann endlich soweit: Im Mittelpunkt der Entwicklung stand ein leistungsfähiges „WideSpan“-Wechselträgerfahrzeug, das die Bodenbearbeitung, die Saat, den Pflanzenschutz und die Ernte mit eingehängten Modulen erledigen soll. Eine weitere Forderung war, dass der Wechsel zwischen zwei Modulen von einer Person in weniger als 10 Minuten, und künftig sogar vollautomatisiert, möglich sein soll.
„Die Idee der WideSpan-Fahrzeuge wurde bereits vor 150 Jahren in Australien geboren, um mit Dampfmaschinen auf Schienen über den Acker zu fahren“, wirft Felix Kalverkamp einen Blick zurück. In den 1980er Jahren folgten weitere Versuche, das Controlled Traffic Farming mittels Brückenfahrzeugen, den sogenannten Gantry Vehicles, zu etablieren. „Der Engländer David Dowler hatte die richtigen Ideen, scheiterte aber an der technischen Umsetzung“, erklärt Kalverkamp. So war es ohne GPS kaum möglich, die festen Fahrgassen z. B. im wuchernden Raps wiederzufinden. Außerdem war ein wirtschaftlicher Betrieb mit den hydrostatischen Antrieben damals nicht möglich. Und nicht zuletzt fehlte dem Pionier die richtige Druschtechnik, um auf zwölf Meter Arbeitsbreite ohne zusätzliche Fahrspuren ernten zu können.
Aber genau diese Reduktion des Fahrspuranteils auf ein absolutes Minimum ist in den Augen der Entwickler der zentrale Schlüssel zum Erfolg des Systems. „Außer den Brückenfahrzeugen ist kein Verfahren bekannt, das mit einem Fahrspuranteil von nur 5 % auskommt — egal bei welcher Maßnahme!“, begründet Kalverkamp die Auswahl der Technik. Sehr lange habe man aber auch ganz grundsätzlich über die Größe der Technik für das neue Ackerbaukonzept diskutiert. „Alle, die sich mit Schwarmtechnik und Minirobotern beschäftigen können ja nicht irren“, so Kalverkamp selbstkritisch. Doch das auch autonome Fahrzeuge ohne Fahrer Skalen-Effekte erzielen, wenn sie größer werden, erklärt der Ingenieur am Beispiel der Mähroboter: „Der kleinste Roboter für 600 m2 ist in Relation zu seiner Flächenleistung fast doppelt so teuer wie das größte Modell für 4 000 m2. Man braucht schließlich auch dort nur eine Steuerung, ein Fahrwerk usw… Daher konstruieren wir den Nexat mit möglichst großer Arbeitsbreite.“
Nachhaltigkeit: Kompletter Elektro-Antrieb
Im Jahr 2017 lief dann das erste Konzeptfahrzeug — zwar noch mit einem hydrostatischen Antrieb, aber schon mit 14 m Spannweite. Schon ein Jahr später war es den Konstrukteuren gelungen, die elektrischen Antriebe in die Raupenfahrwerke (die in Zusammenarbeit mit Zuidberg entstanden) zu integrieren. So sitzt heute in jeder Raupe eine flüssigkeits-gekühlte E-Maschine mit sage und schreibe 160 kW Leistung — und mit nur 50 kg auf minimalem Bauraum. Der Strom für die Motoren stammt aus vier baugleichen 160 kW E-Maschinen, die als Generatoren fungieren. Aktuell werden diese noch von zwei unabhängig ansteuerbaren Dieselmotoren angetrieben, die ihren Kraftstoff aus einem 2 000 l großen Tank saugen. Statt der Liebherr-Sechszylinder mit 12 l Hubraum und jeweils 550 PS ist das System aber bereits für den Betrieb per Brennstoffzelle mit Wasserstoff vorbereitet.
Spannend wird es auch bei den Raupenfahrwerken: Mit ihren 60 cm breiten Bändern sorgen sie zum einen für insgesamt 4,4 m2 Aufstandsfläche, um das Gewicht des Nexat zu verteilen. Zum anderen ist das Fahrzeug dank der 170° Einschlagwinkel jedes Fahrwerkes in der Lage, zwischen Längs- und Querfahrmodus zu wechseln.
Auf der Straße ist man so bei nur 3,50 m Außenbreite mit bis zu 40 km/h unterwegs. Und dank der automatischen Allradlenkung erreicht man mit dem über 14 m langen Fahrzeug einen Wendekreis von nur 25 m — klein genug für deutsche Straßen.
Auf dem Acker werden die Raupen um 90° gedreht, schon geht es mit voller Arbeitsbreite bei 14 m Spurweite in den Einsatz. Der Clou des Systems ist nämlich die Möglichkeit, verschiedene Arbeitsmodule in den C-förmigen Rahmen zu integrieren. Um ein Modul abstellen und ein anderes aufnehmen zu können, lässt sich der Rahmen um 80 cm in der Höhe verstellen. Außerdem kann der Fahrer das Fahrzeug dabei per Fernsteuerung bedienen, um den Modulwechsel vom Boden aus zu überwachen.
Noch mit Fahrer
Apropos Fahrer: Natürlich kann sich der Nexat bei der Arbeit autonom bewegen. Bei Kalverkamp geht man aber derzeit davon aus, dass es noch einige Jahre dauern wird, bis tatsächlich niemand mehr die Arbeit z. B. von einer Einzelkorndrille oder einem Mähdrescher vor Ort überwachen muss. Deshalb hat man dem Nexat auch eine Kabine von Fritzmeier spendiert, die viele vielleicht vom Fendt Katana kennen.
Das Fahrerhaus hängt in einem Parallelogramm am vorderen Ende des Nexat. So sitzt der Fahrer bei Straßenfahrten vorne und kann bei der Arbeit die Kabine per Hydraulik frei drehen und die Höhe für eine optimale Sicht frei wählen. Natürlich müssen ihn Kameras dabei unterstützen, da z. B. ein Blick auf letzte Reihe beim Maispflücker von der Seite aus nicht möglich ist.
Module für jede Aufgabe
Womit wir endlich bei den Arbeitsmodulen für den Nexat wären. Grundsätzlich soll das System künftig für alle Zulieferer offen sein, auch wenn man für den Start mit einigen mittelständischen Unternehmen aus den verschiedenen Bereichen zusammenarbeitet. Bei der Bodenbearbeitung und Sätechnik ist das Väderstad. Die Schweden haben Module für die Bodenbearbeitung, Drilltechnik sowie 29 Einzelkorn-Säaggregaten für die Mais- und Sonnenblumenbestellung installiert. Für den Pflanzenschutz baute Dammann das erste Modul passend zum Nexat — mit 70 Meter breitem Gestänge und 24 Kubikmeter großem Brühetank!
Durch die Integration der Module in den Rahmen wird jedes Arbeitsgerät quasi zu einem Selbstfahrer, wobei das Gewicht optimal auf das Trägerfahrzeug übertragen wird. Dies soll eine deutlich präzisere Führung der Arbeitsgeräte sowie einen geringeren Schlupf beim Vortrieb ermöglichen. So ähnelt das Nexat-System einem Hallenkran — nur für den Acker eben. Gemäß dieser Abstützung sei auch ein sehr (hang-)stabiles Arbeiten möglich, selbst mit größten Arbeitsbreiten. Der Nexat ist folglich ein Hightech-Systemfahrzeug, das alle Prozessschritte der Pflanzenproduktion vereint.
Dazu fehlte allerdings noch ein Erntemodul. Mit Geringhoff hatte Kalverkamp hier schnell einen Partner für die Erntevorsätze gefunden. Die Westfalen lieferten ein 50 Fuß breites Bandschneidwerk, einen 22-reihigen Maispflücker sowie den Sonnenblumenvorsatz für 30 Reihen.
Kein Partner fand sich für die Druschtechnik. Hier mussten die leidenschaftlichen Ingenieure aus Rieste schließlich selbst Hand anlegen. Herausgekommen ist mit dem Erntemodul NexCo (Nexat Combine) ein beeindruckendes System, das mit einem 5,80 m langen Axialrotor arbeitet — ähnlich wie man ihn z. B. aus der S-Serie von John Deere kennt, nur halt viel länger.
Und da der Rotor beim NexCo — anders als in bekannten Axialflussmähdreschern — quer zur Fahrtrichtung liegt, kann er aus dem Zuführkanal tangential beschickt werden. Ein unschätzbarer Vorteil beim Gutfluss.
Hinzu kommt, dass das Material in der Mitte zugeführt wird und sich zu beiden Seiten aufteilt. Außerdem war es beim NexCo aufgrund des ausreichend großen Bauraumes möglich, zwei Siebkasteneinheiten sowie zwei Strohhäcksler in den Rahmen zu integrieren. Damit war dann auch die Strohverteilung auf der großen Arbeitsbreite einzigartig gelöst. Die quer eingebauten Motoren vereinfachen zudem die Antriebslinie von Vorsatz und Rotor. Der wird z. B. von einem Motor direkt angetrieben und über die Motordrehzahl gesteuert.
Einzigartig ist wohl auch das richtige Stichwort für den 36 m3 großen Korntank des NexCo-Moduls. Er kann somit auch den Überladewagen bei der Ernte ersetzen und jeweils am Feld-Ende direkt auf bereitstehende Abfuhrfahrzeuge abbunkern — und zwar mit einer Überladeleistung von 600 l/s!
Für die Zukunft hat die Nexat GmbH große Pläne. Schon in der kommenden Saison soll eine limitierte Zahl an Vorserienfahrzeugen an den Start gehen, die an möglichst verschiedenen Standorten rund um den Globus Erfahrungen sammeln. Gleichzeitig arbeitet man in der niedersächsischen Ideenschmiede natürlich an Weiterentwicklungen. Bislang war zum Beispiel die fehlende Tragfähigkeit ein K.-o.-Kriterium, um das Fahrzeug mit Rädern statt Raupen auszustatten.
Das Gleiche gilt für andere Arbeitsbreiten. So sind Spannweiten des Trägerfahrzeugs von 6 bis 24 m denkbar, um die unterschiedlichsten Anforderungen weltweit erfüllen zu können. Und nicht zuletzt aufgrund der elektrischen Antriebe bleibt es im wahrsten Sinne des Wortes spannend, was die Weiterentwicklungen z. B. in Bezug auf den Wasserstoffantrieb angeht.
Natürlich konnten wir uns zum Schluss auch die Frage nach dem Preis. Und auch hier überrascht Felix Kalverkamp mit seiner Antwort: „Da wir so teure Komponenten wie Motor, Fahrwerk und Kabine nicht mit dem Mähdrescher für den Rest des Jahres in die Ecke stellen, sondern auch für alle anderen Arbeiten nutzen, wird die Technisierung mit dem neuen Konzept nicht teurer sein als die konventionelle Ausstattung mit Mähdreschern, Traktoren und Arbeitsgeräten.“ Damit ist die Brücke in die Zukunft gebaut — und wir sind gespannt, wie die etablierten Hersteller darauf reagieren.